: Die Bewohner müssen mehr Einfluß bekommen
■ Quartiersmanagement darf die bestehenden Angebote nicht ersetzen, meint der Soziologe Hartmut Häußermann, Autor einer aufsehenerregenden Studie zur sozialen Stadtentwicklung in Berlin
taz: Sie haben in Ihrem Gutachten auf die zunehmende soziale und räumliche Polarisierung hingewiesen und „problembehaftete Gebiete“ benannt. Was sind die Ursachen dieser Entwicklung?
Hartmut Häußermann: Es gibt zwei Ursachenbündel. Das eine ist die ökonomische Entwicklung, die zunehmende Arbeitslosigkeit. Das zweite ist die sozialräumliche Struktur in bestimmten Gebieten, wo sich Personen mit besonderen Probleme konzentrieren. Weil immer mehr von diesen Menschen in diese Gebiete ziehen und finanziell Bessergestellte wegziehen.
Ihre Studie hat den programmatischen Titel „Soziale Stadterneuerung“. Was muß getan werden, um soziale Entmischung und Verarmung der Quartiersbevölkerung zu verhindern?
Wie bei den Ursachen müssen auch die Maßnahmen von zwei Seiten kommen. Sie müssen an der Situation im Quartier ansetzen. Andererseits ist es wichtig, daß man sich um Arbeitsbeschaffung und die Aufrechterhaltung von Sozialtransfers bemüht. Ein weiterer Punkt ist, daß man die Potentiale, die Qualitäten, die Qualifikationen der Bewohner in Wert setzt, daß man ihnen die Möglichkeit gibt zu handeln.
Auf der politischen Ebene ist bisher nicht mehr herausgekommen als die Innenstadtkonferenzen des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen und die Ausschreibung von Quartiersmanagern.
Vorläufig ist das zu wenig, aber es ist immerhin ein Anfang. Wenn die Diskussion um das Quartiersmanagement allerdings nur von oben, von der Verwaltung her kommen würde, hätte ich da meine Bedenken. Dann würde es tatsächlich eher um ein Verwalten dieser Gebiete gehen. Die Bewohner müssen entscheidenden Einfluß darauf haben, was in ihrem Quartier passiert.
Im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr wurde ein Posten von zwei Millionen Mark für Quartiersmanager eingerichtet. Selbst die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung räumt ein, daß man damit nicht mehr finanzieren kann als einen Runden Tisch. Bloße Kosmetik?
Ich würde es nicht Kosmetik nennen, eher eine symbolische Aktion. Natürlich lassen sich damit keine nachhaltigen Veränderungen in diesen Gebieten einleiten. Aber wir haben damit erstens mehr Aufmerksamkeit auf diese Gebiete. Zweitens sehen die politischen Instanzen nicht mehr weg. Und drittens könnte sich ja aus solchen Runden Tischen eine Kraft entwickeln, die nicht einfach gebremst werden kann, wenn es heißt, es sei kein Geld mehr da.
Haben Sie nicht die Befürchtung, daß mit Hinweis auf den Quartiersmanager irgendwann einmal Gelder für andere Angebote, die es in den Gebieten bereits gibt, gekürzt werden?
Wenn der Quartiersmanager nicht die bestehenden Initiativen, die existierenden Angebote zusammenbringen würde, wäre er völlig fehl am Platz. Ein Quartiersmanager ersetzt keine bestehenden Angebote.
Zur Zeit wird heftig darüber gestritten, ob neben zunehmendem Verkehr und der Situation in den Schulen nicht etwa auch die hohen Mieten wesentlich mit dem Wegzug aus der Innenstadt zu tun haben. Muß nicht die Diskussion um sozialverträgliche Mieten wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden?
Das ist ja keine alternative Problembeschreibung. Es kann sehr wohl sein, daß Leute Wohnbedingungen und Wohnverhältnisse, die ihnen eigentlich nicht passen, so lange akzeptieren, wie sie sich nichts anderes leisten können. Wenn in den Altbauquartieren die Miete steigt, die Qualität aber gleich bleibt, gehen die Leute.
Sie haben auch über die Amerikanisierung deutscher Städte geschrieben. Steht der Quartiersmanager nicht für einen Paradigmenwechsel – weg von der Verbesserung der Lebensverhältnisse, hin zu einer möglichst kostenneutralen Konfliktmoderation?
Wenn es das wäre, würde einer Amerikanisierung tatsächlich Vorschub geleistet. Das wäre eine inszenierte Stadtpolitik. Mit dem Quartiersmanager kommt allerdings tatsächlich eine gewisse Anpassung an die Erfordernisse der Stadtpolitik. Wir können uns heute nicht mehr mit naiver Überzeugung hinstellen und sagen, daß sich die Stadt um die soziale Gerechtigkeit kümmern muß, daß die Reichen zahlen müssen, daß in den Gebieten der Armen das und das gemacht wird und daß der Staat diese Umverteilung organisieren muß. Wir müssen uns darauf einstellen, neue Quellen der Finanzierung und neue Formen der Steuerung auszukundschaften. Interview: Uwe Rada
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