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Der Branchenriese mit Sinn fürs Kleinteilige

■ Robert Kiepert, der in Charlottenburg Deutschlands größte Buchhandlung führt, wird siebzig

Einen Termin beim Chef? „Da müssen Sie später noch einmal anrufen, Herr Kiepert läuft gerade durchs Haus und verteilt die Post“, heißt es am Telefon. Der Anrufer wundert sich. Seit wann zählt das Sortieren von Briefen und Postkarten zu den Aufgaben eines geschäftsführenden Gesellschafters? – Die Post, erklärt Kiepert später, sei nur ein „Vehikel“ für seinen täglichen Rundgang: „So sehe ich regelmäßig alle Mitarbeiter, kann systematisch einen Blick in alle Abteilungen werfen.“ Außerdem ist es eine alte Gewohnheit. Schon als Kind holte Robert Kiepert junior, der am Montag 70 Jahre alt wird, die Post.

Fast sein ganzes Leben hat Kiepert in der Charlottenburger Buchhandlung verbracht. Heute ist das über 100 Jahre alte Hauptgeschäft am Ernst-Reuter-Platz, dem früheren „Knie“, mit über 5.000 Quadratmetern Verkaufsfläche die größte Buchhandlung Deutschlands. Der alte Werbeslogan „Bücher für Sie – Kiepert am Knie“ verwandelte sich im Lauf der Zeit in ein selbstbewußtes „Bücher für alle“. Seit 1964 führt Robert Kiepert die Geschäfte, die, im Schatten der Mauer, langsam, aber stetig wuchsen. Seit 1990 ist es mit der Gemütlichkeit jedoch vorbei. Auswärtige Buchhandelsketten verwandelten den Berliner Markt in ein Haifischbecken.

Herder aus Freiburg und fnac aus Frankreich kamen zu früh und mußten wieder aufgeben. Ihnen folgten Hugendubel aus München und Thalia aus Hamburg. Hinzu kam der Dienstleister Peter Dussmann, der das Ladenschlußgesetz überlistet, indem er die Angestellten in seinem Kulturkaufhaus kurzerhand zu „Prokuristen“ erklärte – die bis zehn Uhr abends arbeiten dürfen.

Dennoch ist Kiepert noch immer der Platzhirsch in Berlin. Mit inzwischen acht Filialen zählt er, zumindest aus der Sicht kleinerer Berliner Buchhändler, ebenfalls zu den gefürchteten Branchenriesen. Doch mit den Ketten, die „nur Bücherstapel auslegen und durch Mitarbeiter bewachen lassen“, will Kiepert nichts gemein haben. „Wir bezahlen jeden Fachbuchhändler besser als Herr Dussmann seine ,Prokuristen‘“, sagt er. Schließlich wolle er in seinen „13 Fachbuchhandlungen unter einem Dach“, wie er die Abteilungen nennt, „die Kunden richtig beraten und ein tief gestaffeltes Sortiment anbieten“. Auch für Kiepert ist das Buch jedoch „eine Ware, wenn auch eine besondere“.

Eigentlich hatte Kiepert nach dem Krieg Tierarzt werden wollen. Weil er dafür zunächst keinen Studienplatz bekam, wich er auf die Landwirtschaft aus. Kaum hatte er das Diplom in der Tasche, rief ihn sein Vater jedoch zurück. Kiepert folgte der Logik eines traditionellen Familienbetriebs: Die beiden Brüder waren im Krieg gefallen oder vermißt, also mußte er den Laden übernehmen. „Das war auch richtig so“, sagt er – und hat seinerseits Sohn und Tochter zu seinen Nachfolgern auserkoren.

Nach kurzen Lehr- und Wanderjahren kehrte der 28jährige Kiepert 1956 nach Berlin zurück. Der heute denkmalgeschützte, siebenstöckige Neubau war gerade fertiggestellt und bis auf einen kleinen Laden fast ganz vermietet. Das allmähliche Wachstum zur größten deutschen Buchhandlung spiegelt sich in der verwinkelten Topographie der Verkaufsräume. 1976 zog eine Reinigung aus und die Taschenbuchabteilung ein, drei Jahre später mutierte die frühere Steinway-Filiale zur Landkartenabteilung. Wenn Kiepert aus der Firmengeschichte erzählt, wandert er gleichsam durch das Gebäude. Als nächstes plant er eine Caféterrasse auf der Hofseite.

Auch für das Handwerkliche fühlt sich Robert Kiepert zuständig. Zu Hause besitzt er eine „voll ausgebaute Tischlerwerkstatt“, stolz zeigt er selbstgebaute Regale. Aber auch die Kleinigkeiten verliert er nicht aus dem Auge. Selbst wenn irgendwo in den 13 Abteilungen, auf den über 5.000 Quadratmetern eine Schraube fehlt, entgeht ihm das nicht. „Die Schraube, die da auf deinem Schreibtisch liegt“, fragt er dann seinen Sohn, „ist das die aus dem dritten Stock?“ Ralph Bollmann

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