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Sich verdichtende Indizienkette

Diskussion über Elbmarsch-Leukämie. Wirtschaftsminister bei Greenpeace  ■ Von Gernot Knödler

In den neu entflammten Streit um die Ursachen gehäufter Leukämie-Erkrankungen in der Umgebung des Atomkraftwerks Krümmel hat jetzt der Kieler Toxikologe Professor Otmar Wassermann eingegriffen. Auf einer Informationsveranstaltung der „Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch“ in Marschacht bei Krümmel forderte er, Justiz und Politik müßten „endlich die Beweislast umkehren“.

Dem neuen SPD-Bundeswirtschaftsminister Werner Müller liegt das offenbar fern. Bei einem Besuch der Greenpeace-Zentrale in Hamburg am Sonnabend stellte er klar, daß er beim Atomausstieg den Konsens mit den Energieversorgungsunternehmen suche: „Ich habe deutliche Signale, daß die Branche bereit ist, über eine Laufzeitbegrenzung zu sprechen und auch ein Enddatum zu nennen“, sagte der ehemalige Atommanager.

Wassermann, Vorsitzender der schleswig-holsteinischen Leukämie-Kommission, kritisierte die Aussage des Mediziners Michael Csicsaky vom niedersächsischen Sozialministerium, wonach es sich bei der Leukämie-Häufung in der Umgebung des Atomkraftwerkes Krümmel um „Zufall“ handelt: „Diese Bewertung ist nicht zulässig. Hier spricht immer noch so vieles gegen einen Zufall“, sagte Wassermann.

Der Wissenschaftler betonte, es sei unmöglich, einen Beweis für eine eindeutige Ursache zu liefern. „Es wird auf eine Indizienkette hinauslaufen, die sich mehr oder weniger verdichtet“, so Wassermann. Ein nennenswerter Beitrag aus anderen Quellen sei jedoch bis heute nicht sichtbar. „Mit einer Chance von eins zu einer Million kann dieses Cluster zufällig sein“, meinte BI-Sprecherin Helga Dieckmann.

Der Verfasser einer Langzeitstudie zu Krümmel, Professor Eberhard Greiser, sagte dagegen, es sei „vollkommen unwahrscheinlich, daß ein Cluster durch nur einen Risikofaktor“, nämlich das AKW Krümmel, zu erklären sei.

Daß noch einige Zeit ins Land gehen wird, bis Krümmel und die anderen Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden, läßt das Gespräch von Wirtschaftsminister Müller mit Greenpeace-Chef Walter Homolka vermuten. Zwar sagte Homolka, man sei sich „einig, daß es beim Atomausstieg nur noch um das Wie, nicht aber um das Ob geht“. Mit der Greenpeace vorschwebenden Ausstiegsfrist 2005 konnte sich der Minister aber nicht anfreunden. Darüber müsse mit den Betreibern gesprochen werden. Müller: „Wir haben es hier mit Eigentümern zu tun, die zur Stunde zeitlich unbefristete Betriebsgenehmigungen haben.“

Ein Dissens wurde auch beim Thema „Wiederaufarbeitung“ deutlich, wo Greenpeace ein sofortiges Verbot verlangt. „Wir sind uns einig in dem Ziel, die Wiederaufarbeitung so schnell als möglich zu beenden“, sagte Müller. Die Wiederaufarbeitung könne aber nicht sofort verboten werden; dagegen stünden privatrechtliche und völkerrechtliche Verträge.

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