Das Haus in der Schweigerstraße

Vor zehn Jahren steckte ein Rechtsradikaler in Schwandorf ein Haus in Brand. Vier Menschen starben, doch die örtliche CSU sperrt sich bis heute gegen ein Denkmal  ■ Aus Schwandorf Jens Rübsam

Bei Steinmetz Werner Pröll aus dem oberpfälzischen Schwandorf sind dieser Tage zwei Aufträge von äußerster Dringlichkeit eingegangen: Der Herr Oberbürgermeister von der CSU wünscht eine Vogeltränke, die parteilose Frau Stadträtin einen Gedenkstein aus Passauer Granit, Inschrift: „Den Opfern des rassistischen Brandanschlages vom 17. Dezember 1988“.

Angekommen in Schwandorf. Wind rast. Schnee gefriert. Menschen hasten. In Gedanken noch bei den Feuilletons der großen Zeitungen. Bei Martin Walsers Auschwitz: „Moralkeule“ und „Drohroutine“, bei des Schriftstellers Ansichten über das Berliner Holocaust-Mahnmal: „Monumentalisierung unserer Schande“; bei der heftigen Reaktion des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland: „Geistiger Brandstifter“ nannte Ignatz Bubis Martin Walser; bei den Fragen: Ob die Gesellschaft die Fähigkeit zu erinnern besitzt? Ob sie willens ist, auf Dauer Geschichte wachzuhalten?

Hier nun, im bayerischen Schwandorf, wo vor zehn Jahren das türkische Ehepaar Osman und Fatma Can, ihr zwölfjähriger Sohn Mehmet und der Deutsche Jürgen Hübener, Mitglied der DKP, bei einem Brandanschlag ums Leben kamen, gilt es zu ergründen, warum eine Vogeltränke aufgestellt werden darf, aber kein Gedenkstein am Ort des Brandanschlags, dem „Habermeier-Haus“, Schwaigerstraße 2.

Nicht weit von hier, auf dem Weihnachtsmarkt am Marktplatz, schwitzen im Häuschen von Metzger Hottner die Bratwürstl. In der Bude gegenüber bietet jemand namens Conny Kunststickereien feil. Dazwischen schwingen die Mädchen und Buben der „Funny-Hill- Swing-Connection“ ihre Zipfelmützen und schmettern fröhliche Lieder. Am Samstag, wenn das „Bündnis gegen Rechts“ mit einer Demonstration an den Brandanschlag erinnern will, wollen die „Hoderlump'n“ aufspielen.

Vom Weihnachtsmarkt die Straße hinauf, über schweren Schnee und schweres Kopfsteinpflaster, links vorbei an der katholischen Kirche St. Jakob zum Rathaus, erbaut 1584. Nein, so lange sitzt Hans Kraus, der Oberbürgermeister, hier noch nicht, aber zwanzig Jahre sind es inzwischen auch schon. 17. Dezember 1988? „Ja, meine Erinnerung ist deutlich.“ Kalte Nacht. Viele Einsatzkräfte. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk. Eisbildung an den Löschfahrzeugen. Gespräche mit den Opfern. Zwölf Bewohner des Hauses Schwaigerstraße 2 konnten sich vor den Flammen retten. Gelder für die Opfer. Neue Wohnungen. Die Stadt hat sich bemüht. Die Bürger auch: 37.000 Mark wurden gespendet. Als gut vier Wochen später 2.000 Türken und Deutsche mit einem Schweigemarsch der vier Toten gedachten, ließ sich Oberbürgermeister Hans Kraus nicht sehen, Begründung: „Das sähe ja so aus, als müßte man sich gegen eine Tendenz wehren.“

Die Tendenz: Rechtsradikalismus in der Oberpfalz. Im Januar 1989 wird der stadtbekannte Rechtsextremist Josef Saller, 19 Jahre, Lackiererlehrling, Mitglied der Nationalistischen Front (NF), Sympathisant der militanten rechtsradikalen Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschlands (FAP) und der NPD als Brandstifter von Schwandorf überführt. Saller gesteht, er habe „Ausländer ärgern wollen“. Die Jugendstrafkammer des Amberger Landgerichts befindet: „Er ist ausländerfeindlich eingestellt“, sieht aber keine Hinweise auf eine politisch motivierte Tat. Josef Saller, den sein Lehrmeister als „unser Brauner“ bezeichnet, der mit Bomberjacke, Springerstiefeln und Baseballschlägern durch Schwandorf marschiert, der zwei Verfahren (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung) am Hals hat, der von NF-Generalsekretär Meinolf Schönborn zu Ausbildungslagern und NF- Bundesparteitagen eingeladen wird, der einen Gegner der WAA im nahen Wackersdorf mit einem zugeschliffenen VW-Ring verletzt und der einen Behinderten aus dem Rollstuhl zerrt und mißhandelt, weil „das unwertes Leben ist“; Josef Saller wird abgetan als Einzelgänger und Sonderling. Oberbürgermeister Kraus spricht fortan von einem „irrgeleiteten Straftäter“: „Schwandorf ist kein Hort des Neonazismus.“

Verurteilt wird Josef Saller im Frühjahr 1990 wegen schwerer Brandstiftung, nicht wegen Mordes, zu zwölfeinhalb Jahren Haft. Der Richter wiederholt: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Tat und dem rechtsradikalen Umfeld Sallers.

Oberbürgermeister Kraus, der sich in diesem Moment ob des unbequemen Themas gequält in seinem Stuhl zurücklehnt, streng die Arme verschränkt und die Beine ungelenk übereinanderschlägt, sieht das heute noch genau so – als hätte Saller nie aus dem Gefängnis heraus einem Skinheadmagazin ein Interview gegeben, wie der Journalist Michael Schmidt in einem Buch über Rechtsradikalismus nachweist. Sein „größter persönlicher Wunsch“, gab Saller zu Protokoll, sei ein „besatzer- und ausländerfreies Deutschland in germanisch-preußischer Tradition in den Grenzen von 1938, ein Europa ohne Neger, Rote und Hakennasen“.

Es bleibt dabei in Zimmer 20, zweiter Stock, Rathaus Schwandorf. „Der Herr Saller oder wie der heißt hatte keine rechtsradikale Szene hinter sich“, sagt Kraus. „Es gibt keine Rechtsradikalen in der Stadt.“ Und überhaupt: „Ich nehme keine Befehle von irgendwelchen Leuten entgegen, wo ich hinzugehen habe.“ Damals nicht. Heute nicht. Wieder wird Hans Kraus bei einer Gedenkdemonstration fehlen.

Zurück zum Marktplatz, zum Café Brunner. Uwe Kass eilt herbei, der Schwandorfer CSU-Fraktionsvorsitzende, ein dynamischer junger Mann, 32 Jahre alt, Steuerberater von Beruf. „Einen Kamillentee und zwei Schlotfeger, bitte.“ Schlotfeger? Braune Schokoröllchen mit Sahne gefüllt, eine Spezialität.

Zu den Spezialitäten der Schwandorfer Politik gehört freilich auch, daß die CSU im Stadtrat die Mehrheit hat. Als vor einer Woche der Hauptausschuß über einen Dringlichkeitsantrag der parteilosen Städträtin Irene Maria Sturm zu entscheiden hatte, zeigt sie wieder einmal ihre Hausmacht. Der Antrag „Errichtung eines Gedenksteins vor dem Haus Schwaigerstraße 2“ wird abgelehnt. OB Kraus sieht „keine Notwendigkeit“, öffentlichen Grund für ein Mahnmal zur Verfügung zu stellen. Fraktionsvorsitzender Kass erklärt, ein „derartiges Mahnmal würde das Verbrechen nur aufwerten“, die „Gewalttat nur glorifizieren“, die Opfer „in Opfer der 1. und 2. Klasse einteilen“. Die Logik ist klar: In Schwandorf gab es schon viele Gewaltverbrechen, „da müßten wir ja jedem Opfer ein Mahnmal setzen. Wo fängt das an? Wo hört das auf?“ Uwe Kass knabbert am Schlotfeger.

Vor zehn Jahren war Kass beim Technischen Hilfswerk und „draußen beim Brand“. Vom Einsatz, „zwölf, vierzehn Stunden in der Kälte stehen, sehen, wie Särge vorbeigetragen werden“, erzählt er mit getragener Stimme, mit fein gewählten Worten; von seinem „Nein“ zum Gedenkstein redet er in energischem Ton, als gelte es, eine zweite Greueltat zu verhindern. Schwandorf ist eine „bürgerliche Stadt“, sagt Kass, die Stadträtin Sturm wolle ein „politisches Süppchen kochen“ und „sich profilieren“. Falls der Gedenkstein am Samstag trotz des ablehnenden Beschlusses aufgestellt wird, „werden wir den natürlich entfernen lassen“. Uwe Kass bestellt noch einen Kamillentee.

Geärgert hat die Schwandorfer CSU vor allem, daß sich vor Wochen ein „Bündnis gegen Rechts“ gegründet hat. Gegen rechts, also auch gegen die CSU. „Ich bin rechts“, damit geht OB Kraus gern hausieren, er lächelt dabei und teilt mit, quasi als Beleg, daß fast alle Schwandorfer so denken wie er: Von den 1.315 Unterschriften, die Stadträtin Irene Maria Sturm ihm übergeben habe, seien nur etwa 50 aus Schwandorf.

Apropos: In Immenstadt, Allgäu, stürmen am 12. Oktober 1991 drei Rechtsradikale einen ehemaligen Pfarrhof, wo Asylbewerber untergebracht waren, reißen Türen ein und werfen brennende Gegenstände. In Cham, Oberpfalz, verüben im September 1993 vier Rechtsradikale einen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim. Regelmäßig zelebrieren im Donaustädtchen Passau Rechtsradikale Parteitage oder Demonstrationen. Im Schwandorfer Nachbarort Teublitz laden im vergangenen Jahr „Die Deutsche Patrioten“ zu einer ersten Arbeitssitzung ein. Im mittelfränkischen Schwalmbach sieht sich der Rektor einer Realschule dieses Jahr dazu gezwungen, seinen Schülern kahlgeschorene Köpfe, das Tragen von Spingerstiefeln und Bomberjacken mit Aufnähern zu verbieten. In den Klassenzimmern fanden sich immer mehr rechte Schmierereien.

Laut Verfassungsschutz gibt es in Bayern offiziell 220 Neonazis und 600 Skinheads, die als „rechtsideologisch einzustufen sind“. Irene Maria Sturm, die Stadträtin, die noch bis vor kurzem für die Grünen im Landtag saß und wegen der Atompolitik aus der Partei ausgetreten ist, spricht von 8.000 organisierten Rechtsradikalen in Bayern.

Zu Irene Maria Sturm. Vorbei am „Habermeier-Haus“, dem Ort des Brandanschlags. Ein rosa- schmuckes Geschäftshaus, mit Bastel- und Geschenkstübchen, Brautmodengeschäft und Arztpraxen. Davor, auf einem kleinen Grünstreifen, eine Telefonzelle, ein paar Hecken, ein junger Baum. Platz für einen Gedenkstein wäre allemal. „In der Stadt“, sagt Sturm, „gibt es kein Bewußtsein für einen rassistischen Anschlag“. Sie steckt sich eine „Ernte 23“ an.

Jedes Jahr im Dezember eine Demonstration. Immer wieder die Bitte an den Stadtrat, einen Gedenkstein aufstellen zu dürfen. Dieses Jahr ein Antrag, „um die Stadt herauszufordern“. Einen dicken Aktenordner füllt der Brandanschlag mittlerweile. Irene Maria Sturm läßt nicht locker. 7.000 Plakate hat sie drucken lassen und 30.000 Flugblätter. 1.750 Mark muß sie für den Stein sammeln.

Das Telefon klingelt. „Warum setzen sie sich nicht für die Schwandorfer Taxifahrerin ein, die von zwei Türken erstochen wurde“, will ein Mann wissen. Irene Maria Sturm rollt die Augen. „Immer dieses Aufrechnen!“, stöhnt sie. Auch am 50. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte bekommt sie zwei Anrufe. Eine Frau meint knapp: „Sie gehören längst aufgehängt.“ Ein Anrufer schreit: „Die Kanacken sollen zu Hause bleiben“. Alles nur zu ertragen mit einer „Ernte 23“.

Weg von Schwandorf. Noch immer rast der Wind. Noch immer gefriert der Schnee. Noch immer hasten die Menschen. Leyla K., die Tochter der ermorderten Familie Can, sagt: „Irgendwann werden wir zurück in die Türkei gehen.“ In zwei Jahren wird Josef Saller aus der Haft entlassen. Irene Maria Sturm, die „streitbare Städträtin“, wie sie oft zweideutig genannt wird, erwartet für Samstag 1.000 Menschen. Ob viele Schwandorfer Türken kommen werden? „Ich weiß nicht.“ Das Bündnis hat in der Kurdenfrage eine andere Auffassung. Im Zug die Feuilletons der großen Zeitungen. Walser und Bubis, heißt es, wollen miteinander reden.