: Libyens Volkskongreß läßt Kofi Annan abblitzen
■ Angebliche Lockerbie-Attentäter dürfen im Ausland vor Gericht, aber nicht ihre Strafe absitzen
Berlin (taz) – Das große Palaver dauerte eine Woche – dann waren die Delegierten des libyschen Volkskongresses so weit wie am Anfang. Gestern teilte das Fernsehen der Sozialistischen Arabischen Libyschen Volksdschamahirija mit, die über 500 Mitglieder des Gremiums seien damit einverstanden, die mutmaßlichen Lockerbie- Attentäter in einem neutralen Land vor Gericht zu stellen. Doch zu dem eigentlichen Streitpunkt äußerten sie sich nicht: wo die beiden im Falle einer Verurteilung ihre Strafe absitzen sollen. Großbritannien und die USA bestehen auf Haft in den USA oder in Schottland, die Staatsführung in Tripolis auf Inhaftierung in Libyen.
Der Volkskongreß erkläre lediglich „seine Zufriedenheit über die Übereinkunft zwischen den libyschen, britischen und amerikanischen Parteien, die beiden Verdächtigen des Ereignisses von Lockerbie in einem dritten Land vor Gericht zu stellen“, heißt es in der gestern verabschiedeten Resolution. Die Parteien müßten nun „alle Hindernisse ausräumen, um die Verdächtigen schnellstmöglich vor Gericht zu stellen“.
Ausdrücklich verweist der Volkskongreß auf die „Anstrengungen des UN-Generalsekretärs“ Kofi Annan. Der hatte am 6. Dezember einen Abstecher nach Tripolis gemacht. Zuvor hatten ihm libysche Vertreter versichert, er könne mit einem Abkommen über das Schicksal der mutmaßlichen Lockerbie-Attentäter nach Hause reisen. Doch statt dessen ließ ihn Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi stundenlang in der Wüste stehen, um anschließend zu erklären, er sei nicht zuständig. In der Volksmassendemokratie Libyen müßten der Volkskongreß und etwa 500 über das ganze Land verstreute Volkskomitees entscheiden. Diplomaten vermuten, Gaddafi sei die Entscheidung über die Auslieferung der Angehörigen zweier mächtiger Stämme, die mit seinem eigenen Clan rivalisieren, zu heikel.
Bei dem Bombenanschlag auf einen Jumbo der US-Fluggesellschaft PanAm über dem schottischen Ort Lockerbie waren am 21. Dezember 1988 insgesamt 270 Menschen getötet worden. US- amerikanische und britische Geheimdienstler behaupteten später, die Täter hießen al-Amin Chalifa Fhimah (42) und Abdal Baset al- Meghrahi (46) – beide Agenten des libyschen Geheimdienstes. Die UNO verhängte ein Flug- und Waffenembargo über Libyen. Gaddafi dementierte lange Zeit, daß Fhimah und Meghrahi etwas mit dem Anschlag zu tun hätten. Im Oktober räumte er dann gegenüber der BBC ein, möglicherweise hätten sie das Attentat auf eigene Rechnung geplant – als Vergeltung für die US-Bombardements der libyschen Städte Tripolis und Bengasi im Jahr 1986.
Bereits vor einem Jahr hatte Libyen zugestimmt, die Verdächtigen vor ein in den Niederlanden tagendes schottisches Gericht zu überstellen. Doch im Falle einer Verurteilung müßten sie ihre Strafe in Libyen absitzen. Die Regierungen in London und Washington lehnen das ab, weil sie befürchten, die Agenten könnten in ihrer Heimat auf freien Fuß gesetzt werden. Daran hat die gestrige Entscheidung aus Tripolis nichts geändert. Thomas Dreger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen