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Wo sich die Erde um den Mond dreht

„Vater haßte Mutter, Mutter haßte Oma, Oma haßte Opa, und alle haßten mich.“ Die Erinnerung an ihre Kindheit bilanziert die Ich-Erzählerin aus Nikola Anne Mehlhorns „Brachmond“ kompromiß- und illusionslos. In die dörfliche Umgebung von Klein Nordende „hineingeklatscht“, findet sie eine Welt vor, in der Fliegen das offene Geschlecht von Gebärenden umschwärmen, Männer Kühe melken, wenn sie frustriert sind, und Bauern es mit ihren Rottweilern treiben.

Nicht nach der Sonne, sondern nach dem Mond richten sich diese Menschen. In ihrer Zeitrechnung ist jeder Tag ein Mond-Tag, jeder Monat ein Mond-Datum: Herbstmond, Frostmond, Wonnemond. Und wo sich die Erde um den Mond dreht (und nicht umgekehrt), da herrscht noch (oder wieder) das Gesetz der ewigen Wiederkehr: Fruchtbarkeit, Vergänglichkeit, Geburt und Tod. Dieser naturhafte genetische Code fürs Ganze wird bereits am Anfang festgelegt: „Ana war eine fruchtbare Frau: Sie gebar im Herbstmond Zwillinge, im Lenzing einen Sohn und im Windmond Zwillinge mit zwei Köpfen.“ Heimatroman, Biographie, Chronik eines Familienzerfalls: Mehlhorn interessiert sich weniger für Gattungen als für Rhythmus, Klang und Form. Surrealistische Bilder (Neugeborene mit großen Brüsten, Hundsmenschen) und märchenhafte Motive (Wachriesen, Kriegsdrachen und niesende Götter) verschmelzen bei ihr in einem biblisch einfachen Satzbau.

So klar gegliedert die Sprache, so unberechenbar erweist sich die Welt, die sie zu beschreiben versucht. Opa hat einen Schlaganfall, der Bruder hängt sich auf, und „Schlachter Blohms mißratener Sohn“ vergewaltigt Finn, den Sohn der Erzählerin. Inzest, Sodomie, Eltern, die ihre Kinder verfluchen: Immer „bahnt sich etwas Entsetzliches an“. Sogar die Märchen enden ohne Aussicht auf eine glückliche Welt. Am Ende schließt sich der Kreis. Die Anfangssätze wiederholen sich, und die Erzählung verrät, was sie von Anfang an war: eine Erzählung über das Erzählen. Denn: „Gegen Einsamkeit hilft das Schreiben ganz gut.“ Da haben Schreiben und Lesen wohl etwas gemein.

Joachim Dicks

Nikola Anne Mehlhorn: „Brachmond“, Rospo-Verlag, Hamburg, 1998, 96 S., 36 Mark

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