piwik no script img

Mit Kreide vom Dunkel zum Licht

■ „Wenn die Erde Mond wird“: Zeichnungen und Texte von Rudolf Steiner in Wedel

Fünftausend Vorträge hat Rudolf Steiner, der Meister der Anthroposophen, in seinem Leben gehalten. Doch daß er seine Worte auch mit Zeichnungen unterstützte, war lange vergessen. Dabei wurden seit 1919 die Tafeln der Vortragsräume mit schwarzer Pappe bespannt und die Kreidescripturen anschließend fixiert. Über tausend Blätter kamen so zusammen. Aber erst seit 1992 machen diese eine Tournee durch die weltweiten Ausstellungsorte moderner Kunst. Sechzig von ihnen sind jetzt in Wedel zu sehen.

Zur Aktualisierung der farbig-wolkigen Assoziationsbilder trugen vor allem Walter Dahn und Johannes Stüttgen bei, beide Schüler von Joseph Beuys. Über ihn, der seit 1971 in seinen Performances Wandtafeln einsetzte, wurde der Blick für solche offene begriffskünstlerische Notation geschärft. Beuys war wesentlich von den ganzheitlichen Gedanken Steiners geprägt. Und doch ist sein „erweiterter Kunstbegriff“ die bessere Form, sich den Themen zu nähern.

Betrachtet man die Steinerschen Bildnotate, öffnet sich ein weiter Gedankenraum. Zwar ist der schwarze Untergrund, auf dem die Chiffren wie Sterne aufleuchten, eine gewöhnliche Eigenschaft einer Schultafel. Doch bei Steiner wird daraus etwas Geheimnisvolles, ein Weg des Denkens vom Dunkel zum Licht. Leider aber sind allen Tafeln Auszüge aus den Vorträgen beigegeben. Wo sonst Bilderklärungen etwas Altes in die Gegenwart holen, ist es hier umgekehrt: Das Komplizierte der goetheanisch-romantischen Sprache mit ihrem ebenso anspruchsvollen wie heute unfreiwillig komischen Raunen vom Kosmischen verweist die Modernität der relativ offenen bildnerischen Denkzeichen zurück ins Kultische.

Wenn Kunst zugleich rational und sinnlich ist, ist sie schon ziemlich gelungen – warum also die immer wieder versuchte Legitimation aus dem Transzendenten? Alles Übermenschliche muß sich am Ende doch durch den Menschen ausdrücken. Aber vielleicht ist es gerade das, was auch Steiner meint, wenn er sagt: „Das Menschengeschlecht ist das andere Auge der Götter.“ Hajo Schiff

„Wenn die Erde Mond wird“, Ernst Barlach Museum Wedel, Mühlenstraße 1, bis 28.3.99, gleichnamiges Buch im Verlag Du Mont, 151 Seiten, 39,90 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen