: Wenn nicht mehr alles egal ist
Wie Stadtteilentwicklung funktionieren kann. Das Beispiel Kirchdorf-Süd ■ Von Gernot Knödler
Aus dem neuen Brausielgraben ragt ein Einkaufswagen, daneben schwimmen Cola-Dosen, Plastiktüten, Verpackungsreste. Gegen den Spaß am Vandalismus oder den Müll, der aus einem der vielen Fenster des benachbarten Hochhauses geworfen wird, hilft der niedrige Gitterzaun wenig, der die Wettern vor der Hochhauszeile in Kirchdorf-Süd schützt. Trotzdem sagt Günther Arndt: „Früher gab es eine viel größere Verschmutzung als heute.“ Arndt muß es wissen, ist er doch im April 1976 als einer der ersten Hamburger in die neue Trabantenstadt am Autobahnrastplatz Stillhorn gezogen. Er hat sich von Anfang an für den Wilhelmsburger Stadtteil engagiert.
Der rüstige Rentner mit dem ledrigen Gesicht ist der Prototyp dessen, was das Senatsprogramm zur Sozialen Stadtteilerneuerung bei den Bürgern von Problemstadtteilen erreichen will: Daß sie sich einmischen und ihr Wohnumfeld aktiv mitgestalten, um den Absturz des Viertels zu verhindern. Arndt wurde Mietervertreter, er arbeitet beim Wasserverband mit und ist Mitglied des Koordinierungsausschusses, der die vielen Sanierungsaktivitäten zwischen den Bewohnern, den Behörden und den beteiligten Firmen abstimmt.
Denn Kirchdorf-Süd mit seinen knapp 5.700 Einwohnern war schon bald nach seiner Gründung zur Problemsiedlung geworden. Die Siedlung, als reines Wohngebiet konzipiert, verfügt nur über wenig mehr als Supermarkt, Post und Apotheke. Arbeitsplätze vor Ort gibt es auch heute nur wenige, und dadurch, daß das Harburger Wohnungsamt viele Wohnungen an Menschen mit geringen Einkommen vergab, verschlechterte sich die BewohnerInnenstruktur zusehends: Das städtische Wohnungsunternehmen SAGA, dem knapp die Hälfte der Wohnungen in Kirchdorf-Süd gehört, schätzt, daß heute ein Drittel ihrer Mieter von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe leben. „Ganze Schulklassen“, so SAGA-Projektleiter Gottfried Eich, „sind als kurbedürftig eingestuft worden.“
Um der schleichenden Ghetto-Bildung zu begegnen, begann der Senat in den 80er Jahren mit den ersten Sanierungsprojekten, bevor er Kirchdorf 1992 förmlich zum Sanierungsgebiet erklärte. Seither hat sich viel verändert: Von den riesigen Parkplätzen zwischen den Hochhauszeilen wurden Parks abgetrennt; der schnurgerade Brausielgraben wurde mit Buchten versehen; am Nordende entstand ein Jugendzentrum, am Südende ein Freizeithaus und mittendrin erst kürzlich ein Treff, der von den Jugendlichen des Viertels unter Anleitung eines Planungsbüros selbst gebaut wurde. „Das ist nicht hübsch geworden“, sagt Günther Arndt, „aber stabil.“ Und die Kinder seien ganz stolz darauf. „Guck' 'mal, da ist der Mehmet“, sagt ein blonder Junge und zeigt seinem Freund ein Foto in dem Schaukasten über die Bauarbeiten.
So wie sich die Jugendlichen stärker mit ihrer Umgebung identifizieren, weil sie sie mitgestalten konnten, soll unter allen Bewohnern der Hochhäuser die Anonymität abgebaut und ein verbindlicheres Miteinander hergestellt werden. Die Hauseingänge zum Erlerring 8 und 9 sind deshalb mit großem Aufwand umgebaut worden: Aus dunklen Fluren, in denen sich gerade mal zwei Kinderwagen aneinander vorbeischieben ließen, wurden großzügige Foyers mit Kiosk, Pförtnerloge und Bewohnertreffs.
Im ersten Stock machte die SAGA Räume für ein Service-Zentrum frei, in dem Frauen aus dem Viertel beschäftigt und dabei qualifiziert werden: Sie betreuen Kinder, deren Eltern krank sind, begleiten andere Hausbewohner zu Behörden und bereiten den Schülern der umliegenden Schulen ein Vollwertfrühstück.
Für das neueste Beschäftigungsprojekt könnte Günther Arndt Pate gestanden haben: Arbeitslose Männer und Frauen sollen als City-Ranger durch den Stadtteil patrouillieren und durch ihr Vorbild die Sauberkeit in den Stadtteilen auf Dauer verbessern. Arndt hat das von sich aus schon vorgemacht: „Schau her, ich heb' das auf, ich zeig' dir, wie leicht das geht“ – so habe er schon mehrfach Leute angesprochen, die ihm ihren Müll praktisch vor die Füße warfen, erzählt er. Die schämten sich und „kriegten einen roten Kopf“.
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