: Die Ärzte und der Neid des Hippokrates
■ Patienten standen vor geschlossenen Praxen: In Berlin protestierten rund 1.000 niedergelassene Ärzte gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Kassenärzte fordern neue Aufteilung der Budgets
Jochen Leonardt ist wütend. Ein Teil der Arzthonorare sei ohnehin schon zu niedrig, beklagt der Kinderchirurg aus Schöneweide angesichts der Begrenzung der Arzthonorare und Arzneimittelausgaben, die Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) plant. „Wenn der Punktwert, nachdem wir bezahlt werden, weiter verfällt, ist ambulantes Operieren nicht mehr machbar“, sagt er. Dabei sei dies gemeinhin billiger als eine stationäre Behandlung. Wie viele seiner KollegInnen meint auch Leonardt, daß eine grundsätzliche Umsteuerung im Gesundheitswesen notwendig ist.
Deshalb ist er wie 1.000 der 6.300 niedergelassenen Ärzte gestern der Einladung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gefolgt, um anläßlich des bundesweiten Ärztestreiks im Audimax der TU gegen das neue Gesetz zu demonstrieren. Im sogenannten Vorschaltgesetz, das zur gleichen Zeit im Bundesrat zur Abstimmung steht, sollen Arzthonorare und Arzneimittelausgaben begrenzt werden. Die Berliner Ärztekammer hat den Streik abgelehnt.
„Wer Krankenhausbehandlungen reduzieren will, muß die niedergelassenen Ärzte finanziell besser ausstatten“, sagt der KV-Vorsitzende Manfred Richter-Reichhelm und erntet dafür heftigen Applaus. Die Begrenzung der Ausgaben seien eine Rationierung der Gesundheitsleistungen und hätten weiter sinkende Einkommen für Ärzte zur Folge.
„Dann sollen sie auch sagen, daß es eine Rationierung ist, stimmt Wolfgang Kreischner, Allgemeinmediziner aus Zehlendorf, zu. „Aber das macht die Politik ja nicht. Statt dessen müssen wir den Patienten erklären, daß wir manche Medikamente nicht mehr verschreiben können, weil das unser Budget übersteigt.“
Nicht alle Ärzte stimmen jedoch völlig mit der KV überein. Gerade Allgemeinmediziner fühlen sich von ihr oft nicht gut vertreten. Ulrike Meyer, Allgemeinmedizinerin aus Charlottenburg, kritisiert: „Die KV ist ganz klar facharztdominiert“, sagt sie, „und das ist auch ein Grund, warum unsere Honorare so niedrig sind.“
Felise Krauthausen, praktische Ärztin in Kreuzberg, hat sich gar nicht erst am Ärztestreik beteiligt. Sie befürwortet zwar auch eine Umsteuerung im Gesundheitswesen, aber „Konfrontation ist jetzt der falsche Weg“, findet sie. „Die Gesundheitsministerin hat doch angedeutet, daß sie dieses Problem mit allen Beteiligten angehen will.“ Besonders ärgert sie, daß der Eindruck entsteht, als wäre die neue Regierung für die Misere verantwortlich. „Dieser Verteilungskampf im Gesundheitssystem ist doch ein ganz altes Problem.“ Auch Sabine Blankenburg, die als Allgemeinmedizinerin in Prenzlauer Berg arbeitet, streikt nicht mit. „Das Honorarsystem muß verändert werden“, fordert sie, „aber dafür können die Patienten doch nichts.“ Und die seien schließlich die Leidtragenden, wenn die Praxen geschlossen blieben. Sabine am Orde
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