: Chinas Dissidenten in der Lagerdrehtür
■ Chinesische Regierung schickt einen Dissidenten ins Exil, einen anderen ins Arbeitslager. Heute neuer Prozeß gegen Parteigründer
Berlin (taz) – Chinas Behörden haben gestern den Dissidenten Liu Nianchun aus Krankheitsgründen vorzeitig aus einem Arbeitslager entlassen und mit seiner Frau und Tochter in die USA abgeschoben. Dort wurde der Veteran der Dissidentenbewegung noch gestern erwartet. Der 49jährige war im Mai 1995 verhaftet und im Juli 1996 zu drei Jahren Lager verurteilt worden. Er hatte sich zuletzt für die Gründung unabhängiger Gewerkschaften eingesetzt und Petitionen mit der Forderung nach einer Neubewertung des Tiananmen-Massakers von 1989 initiiert.
Lius Frau Chu Hailan hatte sich massiv für seine Freilassung aus gesundheitlichen Gründen eingesetzt. Sie hatte erst 14 Monate nach seiner Inhaftierung seinen Aufenthaltsort erfahren und wurde im September selbst kurzzeitig verhaftet, als sie der in Peking weilenden UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson einen Brief übergeben wollte.
Lius Freilassung und Abschiebung folgt dem gleichen Muster wie im Fall der bekannten Dissidenten Wei Jingsheng und Wang Dan. Menschenrechtsorganisationen vermuten, daß die Regierung mit der Freilassung die internationale Kritik an ihrem Vorgehen gegen Oppositionelle dämpfen will. Während Liu das Arbeitslager verlassen durfte, sind zahlreiche Mitglieder der neugegründeten Demokratischen Partei verhaftet worden. Menschenrechtler sprechen von einer „Politik der Drehtür“ und einer „Geiselpolitik“.
Am Samstag war bekanntgeworden, daß der Dissident Xu Wanping bereits Anfang Dezember in Chongqing ohne Prozeß wegen „Störung der öffentliche Ordnung“ zu drei Jahren „Umerziehung durch Arbeit“ verurteilt worden war. Er hatte sich in der Demokratischen Partei engagiert, die den Alleinvertretungsanspruch der KP herausfordert. Am Freitag standen die Parteimitbegründer Wang Youcai und Qin Yongmin wegen „Umsturzversuchs“ vor Gericht. Ein Urteil wurde noch nicht verkündet. Heute beginnt in Peking der Prozeß gegen Xu Wenli, der als einer der Köpfe der Partei gilt. Sven Hansen
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