: Dringend gesucht: Richter für Öcalan
■ Heute wird in Rom über die Auslieferung des PKK-Vorsitzenden verhandelt. Zugleich werden Möglichkeiten für einen Prozeß ausgelotet
Freiburg (taz) – War da mal was? Wollten Deutschland und Italien nicht dafür sorgen, daß Abdullah Öcalan, dem PKK-Chef, der Prozeß vor einem internationalen Gerichtshof gemacht wird? Inzwischen ist Öcalan auf freiem Fuß, in Italien wird über seine Abschiebung nach Südafrika oder Albanien diskutiert, nur die deutsche Bundesregierung beharrt trotzig auf der Position, weiter an internationalen Lösungen zu arbeiten. Alles nur ein Ablenkungsmanöver, weil sich keiner die Finger schmutzig machen will?
Ab heute wird vor dem römischen Berufungsgericht über Öcalans Auslieferung an die Türkei verhandelt. Wie aus Richterkreisen verlautete, wird der Prozeß rund vier Wochen dauern. Bisher verweigerte Italien die von der Türkei beantragte Auslieferung, weil Öcalan dort die Todesstrafe droht. Der Kurdenführer hat angekündigt, daß er vor Gericht erscheinen will.
Und wenn er den Bart abrasiert und abtaucht?
Anfang November wurde Öcalan in Italien festgenommen – aufgrund eines deutschen Haftbefehls. Doch die Bundesregierung weigerte sich, einen Auslieferungsantrag zu stellen. Die deutschen Behörden suchten Öcalan, weil er für Morde an PKK-Abweichlern und Brandanschläge gegen türkische Einrichtungen verantwortlich gemacht wird.
Vorige Woche setzte ein italienisches Berufungsgericht Öcalan auf freien Fuß. Wenn Deutschland definitiv keinen Auslieferungsantrag stelle, gebe es auch keinen Haftgrund mehr. In Deutschland hatte man eigentlich gehofft, daß Öcalan im Zusammenhang mit seinem Asylverfahren in Haft behalten wird, bis die Rahmenbedingungen eines internationalen Prozesses geklärt sind.
Noch steht Öcalan in Italien zwar unter Polizeischutz und kann das Land nicht legal verlassen, weil er keinen Paß hat. Dennoch sind die italienischen Behörden mehr denn je auf sein Wohlverhalten angewiesen. Wenn Öcalan seinen Schnurrbart abrasiert und einfach abtaucht, dann dürfte es mit dem Prozeß etwas schwierig werden.
Doch ob Italien immer noch auf einen Prozeß hinarbeitet, daran sind nach der Diskussion der letzten Tage starke Zweifel aufgekommen. Italienische Zeitungen spekulierten bereits, daß Öcalan schon am Wochenende (mit seinem Einverständnis) abgeschoben werde. Im deutschen Außenministerium vertraut man dagegen ganz auf das Wort des italienischen Außenministers Lamberto Dini: „Erst vor wenigen Tagen hat Herr Dini in einem Gespräch mit Minister Fischer versichert, daß Italien weiterhin für einen Prozeß eintritt“, sagt ein Sprecher.
Wie aber ein Prozeß konkret aussehen könnte, ist nach wie vor unklar. Da es wohl Jahre dauern wird, einen internationalen Gerichtshof mit Richtern aus verschiedenen Staaten und eigener Verfahrensordnung einzurichten, suchte man in den letzten Wochen vor allem nach einem Staat, dessen nationale Gerichte den Öcalan- Prozeß übernehmen würden.
Im Blickpunkt steht dabei natürlich Italien, der momentane Aufenthaltsstaat Öcalans. Nach der Anti-Terrorismus-Konvention von 1979 müßten bestimmte türkische Vorwürfe gegen Öcalan vor italienischen Gerichten geklärt werden – wenn Italien den türkischen Auslieferungsantrag endgültig ablehnt. Für die deutschen Anschuldigungen bestünde eine solche Verpflichtung dagegen nicht, schließlich hat die Bundesregierung erst gar keinen Auslieferungsantrag gestellt.
Italien sucht derzeit aber eher einen anderen Staat, der bereit ist, das Öcalan-Verfahren zu führen. Verhandelt wird vor allem in den Gremien des in Straßburg ansässigen Europarats, dem 40 ost- und westeuropäische Staaten angehören. Heute und morgen wird in Paris ein auf italienischen Wunsch einberufenes Expertengremium zusammenkommen. Dort wil man die „effektive Nutzung“ eines „Übereinkommens über die Übernahme der Strafverfolgung“ von 1972 diskutieren. Kleiner Schönheitsfehler: Italien und Deutschland haben dieses Abkommen bisher noch gar nicht unterzeichnet.
Eine Variante: Der Lockerbie-Kompromiß
Die dritte Option würde sich an den jüngst ausgehandelten Lockerbie-Prozeß anlehnen. Im Verfahren gegen zwei lybische Geheimagenten, denen der Flugzeugabsturz im schottischen Lockerbie angelastet wird, werden schottische Richter auf holländischem Boden nach schottischem Recht entscheiden.
„Eine internationale Lösung der Prozeßfrage dürfte sicher noch ein halbes Jahr dauern“, heißt es in Bonner Regierungskreisen. Und selbst das wäre noch sehr schnell, wird angefügt. Über eines will man allerdings derzeit gar nicht spekulieren: Ob man nicht doch ein Auslieferungsersuchen an Italien stellt, bevor Öcalan einfach abgeschoben wird. Der Haftbefehl des Bundesgerichtshofs besteht jedenfalls weiterhin. Christian Rath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen