: Schöne Bescherung im Stadion
Von Werders 2:1 über Hertha BSC berichtet der Bremer Berlin-Pendler ■ Ralf Fücks
Sechzig Minuten feierte die Werder-Gemeinde im Bremer Weserstadion ein vorgezogenes Weihnachtsfest, schwankend zwischen Begeisterung über die neu entdeckte Spielstärke der Heimmannschaft und Stöhnen über die verschwenderisch vergebenen Torchancen. Werder spielte variabel und kombinationssicher, klassische Flankenläufe über die Außenbahnen wechselten mit überraschenden Steilpässen Richtung Strafraum. Die hochgelobte Hertha-Abwehr fiel von einer Verlegenheit in die nächste, und vorn tat sich nach einem frühen Warnschuß von Goalgetter Preetz erst einmal lange gar nichts. Man mochte kaum glauben, daß dieselbe Hertha jüngst den HSV mit 4:0 im eigenen Stadion demontiert hatte. Der rasende Zwerg Dariusz Wosz zum Beispiel konnte auch durch die Anwesenheit des Bundestrainers auf der Tribüne nicht zu technischen Kabinettstückchen und Zauberpässen animiert werden; fast unsichtbar lief er neben dem Spiel her.
Werder machte Druck, aber Bogdanovic, Wiedener, Eilts, Herzog und Bode versiebten die besten Möglichkeiten. Unter den Abergläubischen wuchs die Unruhe, weil, wie jeder Eingeweihte weiß, bestraft wird, wer seine Chancen nicht nutzt. Und siehe da, kurz vor dem Halbzeitpfiff tauchten die Berliner binnen zwei Minuten dreimal gefährlich im Bremer Strafraum auf. Kaum hatte sich die Aufregung gelegt, wurde Bogdanovic, der zuvor schon als Abseitskönig aufgefallen war, steil freigespielt, und diesmal blieb die Fahne unten. Herthas Zerberus Kiraly, der so vernünftig war, mit langen Beinkleidern aufzulaufen, während sein Gegenüber Brasas (der lange mit dem Pferdeschwanz) sich in einer Art Tanga präsentierte, stürzte aus seinem Kasten, vollführte aber im Angesicht Bogdanovics einen merkwürdigen Hüpfer, so daß der ungestört flach einschieben konnte. Torjubel, Halbzeit.
Nach dem Wiederanpfiff überschlugen sich die Ereignisse: Hertha kam mit frischem Mut aus der Kabine, eine Flanke von links fand Preetz zum ersten und einzigen Mal von Wojtala alleingelassen, präziser Kopfball, Ausgleich. Die gut gefüllte Gäste-Fankurve intonierte „Jetzt geht's los“, und in der Tat folgte umgehend der nächste Schlag: Anstoß, Steilpaß aus dem Mittelkreis und Bogdanovic machte sein zweites Tor im Stile eines klassischen Mittelstürmers. Doch wer geglaubt hatte, daß dieses Tor Werder stark gemacht hätte, sah sich getäuscht. In der letzten halben Stunde kam Werder kaum noch aus der Defensive heraus. Brasas nutzte die verletzungsbedingte Abwesenheit seines Rivalen Rost um zu demonstrieren, daß er nicht nur im Stehen gut aussieht. Das Spiel aber verflachte, der Beobachter hatte Muße, zwei BILD-Sportreportern beim Ausknobeln der Spieler-Noten zu lauschen (“Was geben wir dem Trares? Eine Vier? – Nein, gib ihm eine Drei – Meinetwegen“). Werder fiel wieder in die alte Krankheit, mit einer knappen Führung im Rücken nur noch zu verteidigen, aber im Unterschied zum Zeitalter vor Magath hielt man den Vorsprung bis zum Abpfiff.
Was macht den Unterschied? Bloßer Dusel ist es jedenfalls nicht, daß Werder jetzt stolze sechs Spieltage ungeschlagen ist. Nicht nur der Kampfgeist stimmt – daß sich die Spieler die Lunge aus dem Hals rennen, war bei Werder fast immer Tugend. Man bekommt zum ersten Mal seit langem den Eindruck, daß auch das Teamwork wieder klappt, daß ein Spiel-System sichtbar wird. Magath mag ein „harter Hund“ sein, Konsequenz ist ihm nicht abzusprechen. So mußte Roembiak in der Kabine bleiben, obwohl er in der ersten Halbzeit in der Offensive geglänzt hatte, weil alle drei Berliner Chancen über seine Abwehrseite entstanden waren – safety first. Daß auch ein Perfektionist auf der Trainerbank nicht alles im Griff haben kann, zeigte sich dann beim Ausgleichstor, das prompt durch eine Linksflanke vorbereitet wurde, bevor sich die Bremer Abwehr neu sortiert hatte. Auch wenn es mir nicht gefällt, daß unter Magaths Regime solide Fußball-Arbeiter bessere Karten haben als begnadete Artisten wie Frings oder Maximov, muß man doch konzedieren, daß sich nicht nur die Defensivqualität, sondern auch das Offensivspiel der Bremer verbessert haben. Gute Aussichten für die Rückrunde.
Der Autor, einst Bremens Umweltsenator, leitet heute die Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.
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