: Vom Schnulzensänger zum Chef der Antifaschisten
■ Bislang war Jossif Kobson als Sänger und Geschäftsmann bekannt. Seit der Abgeordnete wegen antisemitischer Amokläufe einiger Kommunisten die Duma verließ, gilt er als Kopf des Antifaschismus
Moskau (taz) – Vor vierzehn Tagen verließ der Schnulzensänger, Geschäftsmann und Deputierte Jossif Kobson (61) die Duma in Moskau. „Ich kann nicht mehr mit dem Antisemiten Makaschow in einem Raum sitzen“, erklärte er. Und wenn auch seine tiefschwarz gefärbten Augenbrauen und die starre Perücke sonst eher komisch anmuten – als er in diesem Moment aus dem Saal watschelte, verkörperte Kobson die Würde in Person.
Selbst jüdischer Herkunft, war er in den Tagen davor zum Blitzableiter für die Aggressionen seiner hurrapatriotischen Kollegen geworden – wegen seiner Aufforderung an das Parlament, sich von dem Mitglied der kommunistischen Fraktion, General Albert Makaschow, zu distanzieren. Der hatte Anfang Oktober die Ermordung von Juden angedroht und ein judenfreies Rußland gefordert. Möglicherweise waren es also wirklich Gefühle, die den populären Künstler und Laureaten vieler Staatspreise zu seinem Auszug aus dem Parlament veranlaßten. Seit jenem Tage ist Kobson die Leitfigur des russischen Antifaschismus.
Diese neue Mission ist genau das, was ihm bisher fehlte. „Ich ziehe nicht um irgendwelcher Tagesordnungspünktchen willen ins Parlament“, hatte Kobson früher auf Fragen nach seinem Programm geantwortet. Damit hatte er den Verdacht genährt, er kandidiere eher wegen der mit dem Deputiertenstatus verbundenen Immunität. Nun stellt er sich der Öffentlichkeit in ganz neuem Lichte dar. Vielleicht auch dem FBI. Die amerikanischen Behörden verweigern dem seelenvollen Künstler seit Jahren die Einreise, weil sie ihn für einen wichtigen Mittler zwischen den Mafiosi der Alten und der Neuen Welt halten. Kobson zufolge sind das Verleumdungen, ursprünglich in die Welt gesetzt von den russischen Geheimdiensten. Die wollten damit vor allem seinen Busenfreund, Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow treffen.
In der russischen Fernsehsendung „Held des Tages ohne Krawatte“ wurde Kobson am vorigen Wochenende mit Frau Nelja, Sohn, Tochter sowie Verwandten und Freunden speisend vorgestellt – im Ambiente eines eleganten Moskauer Hotels. Dort lebt die Kobson-Crew, während ihre Wohnung renoviert wird. Seinen Reichtum führt das Multitalent nur auf ehrliche Arbeit zurück. Bereits während des Studiums habe er als Lastenträger geschuftet. Er sei sich für keine Provinzbühne zu schade gewesen und habe auch an der Front in Afghanistan getingelt.
Eine andere Reichtumsquelle für den Sänger ist seine Firma, die Aktiengesellschaft AO „Moskowit“. Sie handelt mit Erdöl, Metallen, versorgt die russische Hauptstadt mit Zucker und organisiert Moskaus Showgeschäft. Die ihm ebenfalls nachgesagten Beziehungen zum Narko-Busineß, Waffenhandel und Gunstgewerbe streitet Kobson vehement ab. Gern gibt er dagegen zu, in seinen Freundschaften nicht wählerisch zu sein. Auch bei seinen Festen leistet sich der „russische Sinatra“ bisweilen geschmackliche Entgleisungen.
Wenige Tage nach seinem ersten spektakulären Duma-Auftritt gegen General Makaschow beging er den 7. Oktober, den Tag, an dem Millionen unbezahlter und notdürftig ernährter Menschen in Rußland streikten, mit einer „Krisen-Party“. Während sie ein opulentes Mahl verspeisten, bildeten Stars des Show-Busineß ein „Not- Kabinett“ mit Kobson als Premier. Billige Lebensmittel dienten bei dem Pestgelage nur zu einem Krisen-Show-Wettkochen. Die Sängerin Irina Otejewa kreierte dabei einen eßbaren „kommunistischen Phallus“ aus Würstchen.
„Ich verheimliche nicht, daß ich mit unseren Partnern verkehre, die ihre Beziehungen zu betrügerischen Geschäftsleuten in ihrer eigenen Sprache klären“, sagte Kobson einmal. „Zum gegebenen Zeitpunkt gibt es dafür kein anderes System.“ Offenbar im Namen solcher „Partner“ hatte er 1994 der Moskauer Polizei einen ganz besonderen Vorschlag gemacht: eine Art Burgfrieden mit den höchsten Autoritäten der Unterwelt. Diese – so Kobson – würden sich ihrerseits verpflichten, das kriminelle Fußvolk in Schach zu halten.
Inzwischen ist der Star so reich, daß er sogar seine Gesangsvorträge selbst finanzieren kann. Im Herbst vorigen Jahres organisierte er seine Abschieds-Konzerttournee durch einen großen Teil der Ex-Sowjetunion. Der Zufall wollte es, daß die Tour mit der Nachwahlkampagne im Aginsker Burjatischen Autonomen Kreis zusammenfiel, wo der Sänger für einen Duma-Sitz kandidierte. Mindestens 150.000 Dollar spendete er damals der armen Region. Bis 4 Uhr früh dauerte am Tage vor der Wahl die Ausstrahlung seines angeblich letzten Konzerts. Dies verstieß zwar ein wenig gegen das Gesetz, dem zufolge 24 Stunden vor dem Wahltag alle Agitation eingestellt werden muß. Aber hätte man deswegen den russischen Fernen Osten um dieses akustische Vergnügen bringen sollen?
Seinen burjatischen Wählern zuliebe, sagt Kobson heute, wolle er seinen Duma-Boykott auf das Plenum beschränken und sonst allen Pflichten nachkommen. Damit behält er auch das Recht auf Immunität. Am Ende der Sendung „Held des Tages ohne Krawatte“ erzählte Rußlands Antifaschist Nr.1 eine Fabel. Ein Hase wird vom Wolf gefressen, und eine Krähe, die in der Fichte darüber hockt, kommentiert: „Wer nicht gefressen werden will, muß hoch sitzen.“ Barbara Kerneck
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