Wenn Silvester nicht nur die Böller gefährlich sind

In den Feiertagen verstärken die Frauenhäuser ihre Notaufnahme. Viele Frauen wollen aber auch das „Fest der Liebe“ noch „durchhalten“, bevor sie vor ihrem gewalttätigen Ehemann fliehen  ■ Von Heike Dierbach

Annett Wolfgang war in diesem Jahr die Weihnachtsfrau. Mit rotem Mantel und Mütze verkleidet schleppte sie Heiligabend den Sack mit Geschenken im ersten Hamburger Frauenhaus. „Meinen Text hatte ich eine halbe Stunde vor dem Spiegel geübt“, lacht die 27jährige, „aber dann hab' ich ihn doch vergessen.“ Der guten Stimmung unter dem Weihnachtsbaum tat das keinen Abbruch. Die rund 35 Frauen und Kinder hatten alles zusammen vorbereitet, inklusive unterschiedlicher Speisen gemäß den Kulturen, aus denen die Bewohnerinnen kommen. Auch die Vielfalt der Sprachen, in denen die Kinder Gedichte aufsagten, war groß – „es war ein richtig schönes Fest“, strahlt Annett Wolfgang.

Kurz bevor es losging, mußte die Mutter eines Vierjährigen allerdings gegen die Traurigkeit ankämpfen, nachdem sie mit ihrer Familie in Süddeutschland telefoniert hatte. „Es kommt halt doch viel hoch zu Weihnachten“, schildert sie. Auch viele andere Frauen hätten geweint.

Ganz schlimm ist es Sylvester, weil da viel getrunken wird

Direkt am Heiligabend seien in diesem Jahr keine neuen Frauen gekommen, berichtet Mitarbeiterin Marion Klußmann, „aber zwei, drei Tage vorher hat es in vielen Familien geknallt“. Weil in der Zeit um das „Fest der Liebe“ herum oft besonders viele Frauen vor ihrem gewalttätigen Ehemann flüchten, müssen die Hamburger Frauenhäuser regelmäßig ihre Notaufnahme verstärken. „Ganz schlimm ist es immer nach Sylvester“, weiß Marion Klußmann, „weil da viel getrunken wird.“ Dann kommen auch oft jene Frauen, die die Feiertage vor den Verwandten noch „durchhalten“ wollten, ergänzt Bahar Arican, Mitarbeiterin im ersten Hamburger Frauenhaus.

Annett Wolfgang wollte schon lange vor Weihnachten nicht mehr „durchhalten“. Als ihr Mann sie zum wiederholten Mal so schwer mißhandelte, daß sie im Krankenhaus behandelt werden mußte, zog sie von dort direkt ins Frauenhaus. „Mein Mann wußte gar nicht, daß es sowas gibt“, erzählt sie. Zuerst habe sie sich im Haus sehr hilflos gefühlt. „Aber ich habe mir gesagt: Wenn du diesen Schritt gewagt hast, kannst du auch noch weiter.“ Nach vierzehn Monaten im Frauenhaus hat sie es geschafft: Sie hat den „Behördenkram“ geregelt, einen Kindergartenplatz für ihren Sohn organisiert, eine eigene Wohnung gefunden und ganz allein renoviert, in die sie im Januar einzieht. Für 1999 wünscht sie sich nur noch einen festen Job.

Canan Yilmaz träumt von einer eigenen Wohnung. Die 33jährige Türkin floh vor vier Monaten mit ihren drei Kindern ins Frauenhaus. „Dreizehn Jahre habe ich gewartet, daß mein Mann sich bessert“, erzählt sie, „dann habe ich mir gesagt: So willst du nicht mehr leben.“ Und obwohl ihr Mann ihr immer eingeredet hatte, daß sie viel zu schlecht Deutsch spreche, um alleine zurecht zu kommen, bewältigt sie ihren Alltag inzwischen ohne Probleme und schafft „jeden Tag einen kleinen Schritt“ in ein neues Leben. Im Frauenhaus hat die Muslimin auch zum ersten Mal Weihnachten gefeiert. Vor allem ihre Kinder waren begeistert. Vor Sylvester – ein großes Fest im islamischen Jahreslauf – fürchtet sich Canan Yilmaz allerdings ein bißchen. Zurück zu ihrem Mißhandler will sie aber auf keinen Fall. Auch ihre Kinder nicht, trotz der Enge, in der sie im Frauenhaus leben.

Die 207 Plätze in den fünf Autonomen Hamburger Frauenhäusern waren in diesem Jahr permanent belegt, resümiert Marion Klußmann. Vorherrschend in ihrer Bilanz ist allerdings nicht dieser Aspekt – der jedes Jahr kennzeichnet –, sondern der Ärger mit der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales, genauer mit deren Präses, Sozialsenatorin Karin Roth (SPD).

Ungebetener Besuch der Sozialsenatorin

Diese äußerte im Oktober den Wunsch, ein Frauenhaus zu besuchen, „um sich einen Eindruck von den Rahmenbedingungen zu schaffen“, berichtet Klußmann. Die Mitarbeiterinnen und viele Bewohnerinnen waren strikt dagegen, boten aber ein Gespräch im Büro des Trägervereins „Frauen helfen Frauen e.V.“ an. „Die Häuser sind unsere Wohnungen“, begründet Annett Wolfgang, „wir sind doch kein Zoo.“ Aber „Zuwendungsempfänger“ – weshalb die Sozialsenatorin, rein juristisch betrachtet, ein Besuchsrecht hat. „Unter Protest“ haben die Frauen ihr deshalb einen Termin im Januar angeboten. Peter Dunkel, Büroleiter von Karin Roth, kann in dem Vorgang weder eine ablehnende Haltung der Frauenhäuser noch Druck von seiten der Behörde erkennen: „Die Senatorin kommt schließlich auch, um nach Wünschen zu fragen.“ Ihre Mißstände könnten die Häuser auch gut anhand von Fotomaterial beweisen, entgegnet Klußmann.

Im Januar wird die Sozialsenatorin wohl durch ein leeres Haus wandeln – die Bewohnerinnen werden an dem Tag nicht zu Hause sein. Die Türen zu ihren Privatzimmern wollen sie abschließen. Auf Unterstützung von der grünen Senatorin für Gleichstellung und stellvertretenden Bürgermeisterin Krista Sager wartete frau vergeblich, klagt Klußmann: „Wir haben ihr von jedem Briefwechsel Kopien geschickt – keine Reaktion.“

Aber von Rot-Grün in Hamburg haben die Frauenhäuser 1998 auch sonst nicht viel gemerkt, resümiert Mitarbeiterin Angelika Damm. Und die neue Bundesregierung? Wahlweise lange Gesichter oder Gelächter bei allen. Immerhin kündigt der Koalitionsvertrag einen Nationalen Aktionsplan „Gewalt gegen Frauen“ an, erwähnt Frauenhäuser als „unverzichtbare Zufluchtsstätten“ und will die eheliche Wohnung verstärkt den Opfern zuweisen. Aber Frauenförderung (oder ihr Fehlen) manifestiert sich auch in der Sozialpolitik. So merken zum Beispiel viele Frauen im Frauenhaus nichts von der Erhöhung des Kindergeldes ab 1. Januar – weil es auf ihre Sozialhilfe angerechnet wird.

Auch das neue Kindschaftsgesetz, das dem Vater mehr Rechte einräumt, schafft für viele mißhandelte Frauen zusätzliche Belastungen, weiß Klußmann: „Die Politiker gehen immer noch vom Ideal der funktionierenden Kleinfamilie aus. Aber das existiert nicht mehr.“ Für das kommende Jahr wünschen sich die Mitarbeiterinnen vor allem mehr Akzeptanz und Bekanntheit ihrer Arbeit in der Bevölkerung. Denn selbst aufgeklärte Leute, berichtet Marion Klußmann, würden sie immer noch spontan fragen: „Wo ist denn das Frauenhaus?“

Spendenkonto: 1. Hamburger Frauenhaus, Kto.-Nr. 1318/120993, Haspa, Stichwort: taz