: Anklagen, abblättern, erinnern
■ Geschichtstrümmerhaufen setzt Gedankenmaschine in Gang: Menashe Kadishmans Arbeit „Shalechet“ in der Galerie Hans Mayer
Eigentlich war es Zufall, ein angenehmer. Nur aus Langeweile schaut man sich Unter den Linden in der „Galerie im Einstein“ die Fotoarbeiten von Helmut Newton an. Am Ende des schlauchartigen Raumes dann eine schlichte Glastür mit der Aufschrift „ausstellungsraum Hans Mayer“. Dort steht man gleich am Eingang vor einer nackten grauweißen Wand, die den Blick auf den kleinen Raum völlig versperrt.
Hat man die Sichtblende umrundet, bleibt man für einen Moment wie angewurzelt stehen: Auf dem Boden liegen lauter kleine, halbwegs runde Metallscheiben. Sonst nichts. Auch die Wände sind kahl. Die Scheiben ähneln sich. Alle haben Löcher, zwei kleine Augen, eine schmale Nase, einen weit aufgerissenen Mund. Wie es scheint, sind mehrere Lagen im Raum übereinandergeschichtet – die „Gesichter“ starren dich an. Schreie, denkt man, tausendfach. Menashe Kadishman versteht seine Arbeit „Shalechet“ durchaus als Anklage. Dabei setzt der 1932 in Tel Aviv Geborene auf die Häufung von Körperformen.
Egal ob er in den 70er Jahren 500 Schafsköpfe (gleich Unschuldslämmer) als Metapher für menschliche Ohnmacht malte oder Mitte der 80er eine Gruppe weinender Frauen, die für die universelle Trauer aller Mütter stehen, schuf – Kadishmans Handschrift ist biographisch zwar von einer großen Freude am Leben geprägt, die aber immer wieder mit traumatischen (Gewalt-)Erlebnissen konfrontiert wurde.
Das kommt im Fall von „Shalechet“ – zu deutsch: Abblätterungen – vielleicht ein bißchen zu plakativ daher. Je länger man allerdings auf diesen Geschichtstrümmerhaufen starrt, ihn umkreist und schließlich auch betritt, auf den „Gesichtern“ herumklettert, passiert etwas: Beim Treten der Kunst setzt sich die Gedankenmaschine in Gang. Die Walser-Bubis- Debatte, die Diskussionen um das Holocaust-Mahnmahl etc. Insofern macht Kadishmans minimalistische Figuren-Installation eben doch Sinn, gerade hier in Berlin.
Damit hat die Düsseldorfer Galerie Hans Mayer ihren Einstand in der Hauptstadt trefflich gewählt. Nach über 30 Jahren Galeriearbeit auf nationaler und internationaler Ebene ist Mayer nun auch in Berlin präsent. Den Düsseldorfern zeigte er Künstler wie Jakob Bill, Alexander Calder, Yves Klein oder Robert Longo. Letzterer wird demnächst auch in Berlin präsentiert, gefolgt von Fotoarbeiten Dennis Hoppers. Andreas Hergeth
Bis Ende Februar, Di.–Fr. 11–18 Uhr, Sa. 11–15 Uhr, Unter den Linden 42, Mitte
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