■ Eine Ausstellung im Stockholmer Nordiska Museet würdigt den Maler Carl Larsson
: Traumbilder eines unverdorbenen Lebens

Einer Umfrage von Germanistikstudenten an der Universität Uppsala zufolge denken Deutsche bei Schweden an ein Land, das Kurt Tucholsky, Nelly Sachs und Peter Weiss während der Nazizeit Asyl gewährte; sie wissen, daß dort Ikeamöbel erfunden wurden, also Interieurs, die hierzulande der Ästhetik des Gelsenkirchener Barocks den Garaus gemacht haben; sie erinnern sich an „ABBA“ und daran, daß Schweden ein naturnahes Land ist, das über saubere Flüsse verfügt und über von Smog verschonte Wälder.

Davon abgesehen, daß bei diesen Phantasien die Wirklichkeit immer auf der Strecke blieb – Schweden kollaborierte mit den Nazis mehr, als es seinen Bewohnern heute lieb ist; die Verschmutzung der Flüsse ist hausgemacht –, ist ein Mann fast unbekannt geblieben, der die Post-Achtundsechziger-Designs wie kein anderer Künstler beeinflußt hat, ohne je ein Revoluzzer gewesen zu sein: Carl Larsson. Er lebte zur gleichen Zeit wie die stadtflüchtigen Rainer-Maria Rilke, Paula Modersohn-Becker und Heinrich Vogeler.

In Nordischen Museum Stockholm wird der Maler mit einer großen Ausstellung gewürdigt. Sie läuft mindestens bis zum 22. Januar, dem achtzigsten Todestag Larssons. 1853 in Sundborn in der Nähe der Bergarbeiterstadt Falun geboren, zog es ihn zunächst nach Frankreich, ehe er in seinem Geburtsort begann, die heute bekannte Schwedenästhetik zu entwerfen.

Der Vater des schwedischen Jugendstils distanzierte sich: Erstens wollte er weder etwas mit der Moderne seines Fachs, zweitens aber auch nichts mehr mit der bleiernen Reputierlichkeit der Stockholmer Bürger zu tun haben, die Ingmar Bergman drei Generationen später filmisch kritisierte: als prüde, arrogant und engstirnig. Larsson propagierte das Leben auf dem Land, die Rückkehr zu natürlichen Stoffen und den Abschied von der anonymen Stadt. Der später populäre Illustrator von Kinderbüchern war damit ein stiller Protestierer gegen alles, was das Leben riskant macht – also gegen das Prinzip Stadt.

Abgetuschte Kopien seiner Bilder finden sich noch heute in Sterbenachlässen, aufbewahrt von Schweden, die heute achtzig- bis neunzigjährig sterben. Larsson, ein kindervernarrter Patriarch, war ihnen ein Vorbild, sich daran ängstlich zu erinnern, woher alle stammen: von „Mutter Erde“, wie der Maler immer wieder betonte.

Eine erstaunliche Renaissance feierte das Werk Larssons schließlich Mitte der siebziger Jahre unseres Jahrhunderts. Es waren die Jahre, als die Popartdesigns – grelle Farben, verfremdende Formen – kenntlich wurden als Bilder der Achtundsechziger. Ihre jüngeren Geschwister kauften in Postergalerien plötzlich ganz andere Dekors: Bilder des Carl Larsson.

Ansichten einer Welt waren es, die es in Deutschland ganz gewiß nicht mehr gab. Holzhäuser mit filigranen Intarsien; Veranden, die von heiteren Menschen bevölkert werden; Sommerfeste mit trinkenden Männern und Frauen, sich nicht sorgend um ihre Kinder, die kindheitstrunken in einem sauberen See baden; Winterbilder mit blütenweißem Schnee, durch den ein mummelig verpacktes Kind einen alten Schlitten schiebt; Portraits von alten Menschen, deren Antlitze sauber aussehen, ungeschminkt und rein, keine Narben tragend durch Streß und Eile.

Die Farben mischte der Aquarellist immer ein wenig blaß, nie kraß leuchtend. Vermutlich haben Larssons Bilder selbst nach ihrer Fertigstellung schon etwas verblichen ausgesehen. In den Kopien der siebziger Jahre muß dies ins Auge gestochen haben: eine Welt, die noch intakt wirkte. Die Grünen und ihre Freunde liebten diese Zeichnungen sehr. Guckte man in ihre Zimmer, schaute man in ihre WGs, sah man, welchen rasanten Einfluß Larsson auf ihr Stilempfinden genommen zu haben schien: Nichts wirkte übertrieben, alles sollte natürlich bleiben.

Zehn Jahre darauf, etwa seit 1985, begannen Deutsche in Schweden Häuser zu kaufen. Hütten und Villen, die von ihren Besitzern verlassen wurden, um nicht mehr auf dem Land wohnen zu müssen. Bloß weg vom Land, wo kein Arzt in der Nähe ist, wenn man Hilfe braucht, wo es feucht ist und Supermärkte weit sind.

Gerne erwarben viele Deutschen deren Immobilien. Endlich konnten sie dem nacheifern, was sie bei Larsson gesehen haben: eine heile Welt mit ochsenblutroten Häuserfassaden, romantisch im Wald gelegen und an Seen. Damals – und oft bis heute – erfüllten sich Träume, die sich von der Literatur Astrid Lindgrens („Bullerbü“), den Bildern Larssons und den Katalogen Ikeas inspirieren ließen. Im Nordischen Museum ist der wesentliche Teil dieser Ikonographie im historischen Kontext zu entdecken. JaF

Infos: Nordiska Museet auf Djurgarden in Stockholm, geöffnet täglich außer montags 10 bis 17 Uhr, Eintritt etwa dreizehn Mark; Literatur: Ausstellungskatalog Carl och Karin Larsson – Skapare av ett svenskt ideal („Zeichner eines schwedischen Ideals“), Albert Bonniers Förlag, Stockholm 1998, 246 S., etwa 55 Mark