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Im Rosenspalier

■ In Weimar wurde das Neue Museum mit der Kunstsammlung Maenz eröffnet. Es zeigt sich, Konzeptkunst und Minimalismus passen überraschend gut zu Italiensehnsucht und Devotionalienkult

Weimar ist die Stadt der Devotionalien. Goethehaus, Schillerhaus, Liszthaus, Nietzsche-Archiv: Den Pilgerreisen der Touristen auf den Spuren berühmter Männer sind keine Grenzen gesetzt. Da paßt Piero Manzonis kleine Dose „Merda d'artista“ wie das Tüpfelchen aufs i. Auch ein Päckchen, das verschnürt und versiegelt für immer sein Geheimnis bewahrt und von Manzoni auf eine große Leinwand gesetzt wurde, läßt sich mühelos als Bild der schönen Hülle deuten, ohne die es bei Goethe weder Schönheit noch Wahrheit gab. Weiterhin wirken ein Buch mit Fingerabdrücken und Authentizitäts-Zertifikate des Italieners im Neuen Museum Weimar wie ein kalkulierter Kommentar auf das lokale Gedenkgewerbe, das aus Schillers Locken schon zu seinen Lebzeiten einen Kult machte. Für die Stadt Weimar stellt die Identifikation von Kunst und Leben ihrer Dichter ihr wichtigstes Kapital dar. Sie hat die Methode der „Spurensicherung“ über ein Jahrhundert vor den Konzept- Künstlern entdeckt.

Manzonis Antworten auf den Mythos vom Künstler ist ein kleines Kabinett des Neuen Museums Weimar, das in der Silvesternacht feierlich mit der Sammlung des ehemaligen Kölner Galeristen Paul Maenz eröffnet wurde. Auf Schritt und Tritt läßt die Ausstellung „Auffrischender Wind aus wechselnden Richtungen — Internationale Avantgarde seit 1960“ neue Beziehungen zwischen Klassik und Gegenwart, zwischen der Musealisierung der Geschichte und einer Kunst, die sich dem abgeschlossenen Werkbegriff zu verweigern sucht, entdecken und erfinden. Denn einer Kunst, die sich dem Kontext ihrer Präsentation gegenüber offen verhält und in ihrer Bedeutung flexibel ist, liefert der historische Prospekt der Stadt wunderbaren Stoff. Die Selbstreflexion der Künste läuft hier wie geschmiert.

Daß der Dialog über die Zeiten gelingt, liegt nicht zuletzt am Gebäude des Neuen Museums, 1863 von dem Architekten Josef Zitek aus Prag gebaut. Man hat dem Haus sein Leben gelassen, die hohen Bogenfenster nicht Hängeflächen geopfert und den Blickkontakt zur Stadt erhalten. Für Maenz ist das Haus „ein Glück: als Museum gebaut, für Rundgänge konzipiert, mit Oberlicht versorgt“ und Wänden, die groß genug sind für Anselm Kiefer, Albert Oehlen, Keith Haring und einen sieben Meter langen Dokoupil.

Die Stadt Weimar freut sich vor allem über die Wiedergewinnung des Museums. Denn mit ihr geht, wie Oberbürgermeister Volkhardt Germer betont, eine „Leidenszeit für die Bürger zu Ende“, die gegen Verfall und Abriß des zweigeschossigen Neorenaissance-Palasts kämpften. 1933 hatte sich das Reichsstatthalteramt in dem Großherzoglichen Museum eingemietet und davor das monumentale Gauforum bauen lassen, das den alten Grundriß der Stadt zerstörte und sich bis heute als unverdauliches Zeugnis der Diktatur behauptet. Das Museum wurde 1952 verschlossen und dem Verfall überlassen. Lutz Krause, Architekt der Rekonstruktion, erinnert sich noch an die Phantasiesumme von 100 Millionen Mark, mit der in den achtziger Jahren das Verlangen nach Wiederaufbau abgeschmettert wurde. 1990, in der Euphorie der Wendezeit, nutzten Bürgerinitiativen und das Autonome Cultur Centrum Weimar die Ruine für Konzerte und eine Kulturmeile. Für Weimar ist deshalb der Wiederaufbau, der den Bund und die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten 14,8 Millionen kostete, Teil der Rückgewinnung der Stadt.

Sichtbar werden diese Etappen der Geschichte im Treppenhaus, das Daniel Buren, mit dem Maenz vor 25 Jahren zu arbeiten begann, gestaltet hat. Der Franzose nimmt das repräsentative Ausdruckswollen des Baus ebenso beim Wort wie seine Zeit als Ruine. Denn sein Streifenmuster führte Buren diesmal mit Holzlatten aus, zwischen denen das rohe Mauerwerk durchscheint. Sie nehmen zudem den Rhythmus der kannelierten Säulen auf und erinnern an das Rosenspalier von Goethes Gartenhäuschen, das zum Symbol der Weimarer Idylle wurde. In einer Nische des Treppenhauses sitzt der Dichter: Das Denkmal bezeugt die Heldenverehrung des 19. Jahrhunderts, verklärt es Goethe doch nach einem Entwurf von Bettina von Arnim zum antiken Olympier mit nackter Brust und Leier. Spiegel vervielfältigen diese Situation ganz so wie in den alten Galerien des Schloßmuseums.

Diese Durchlässigkeit für die Ideale vorausgegangener Zeiten läßt die Sammlung Maenz hier am richtigen Ort angekommen erscheinen. Die Kunstgeschichte ist in den Verweissystemen der italienischen Konzeptualisten Giulio Paolini oder Salvo ebenso gegenwärtig wie in den formalen Reduktionen der amerikanischen Minimalisten Carl André, Donald Judd und Sol Lewitt. Selbst die Spiegel John Armleders und ein Laufsteg von Sylvie Fleury werden hier zur Reverenz an die höfische Architektur und ihrer Transformation in den Musentempeln, die sich das Bürgertum baute. So offenbart die für den white cube geschaffene Kunst einen ungeahnten Hang zum Klassizismus.

Warum Weimar, ist Maenz oft gefragt worden, und in seinen Antworten spielt die Verantwortung gegenüber Kunst und Geschichte eine mehrfache Rolle. Da ist zum einen die deutsche Geschichte, die ihn bei seinen Reisen durch die neuen Bundesländer Anfang der neunziger Jahre einholte und rückwirkend die Internationalität seines Programms auch als eine Flucht vor dem Deutschsein erkennen ließ. Zum anderen geht es um die Verantwortung gegenüber dem Kunstbesitz. Nicht umsonst hat Maenz seine Galerie in Köln 1971 mit Hans Haacke eröffnet, der die Verflechtung von Kunstbesitz, Politik und Kapital thematisierte. Der Sammler sieht seinen als Kunsthändler gewonnenen Reichtum auch als Ergebnis des Ost-West-Gefälles in Deutschland. Die Kunst, die er nach Weimar bringt, ist also nicht nur eine, die den Menschen dort „jahrzehntelang vorenthalten wurde“, wie eine Weimarer Zeitung schrieb, sondern zugleich ein Produkt der ideologischen Zweiteilung der Welt des Kalten Krieges.

Die jetzige Präsentation von 120 der 400 Werke umfassenden Sammlung überschlägt einige Kapitel aus Maenz' Sammlung wie die Malerei der italienischen Transavanguardia. Sie schnürt nicht das übliche Paket, mit dem westdeutsche Museen Kunst nach 1960 vorstellen. Einzig ein Saal mit großen Bildern und einem Flugzeug von Anselm Kiefer provoziert ein Déjà-vu, das sich im anschließenden Raum vor einer überraschenden Skulptur von Imi Knoebel rasch wieder verliert: Da stecken ein dünner Baumstamm, ein geknicktes Rohr und ein Brett hinter einer Verkleidung aus Hartfaser und Furnier. Die Fundstücke bringen Unruhe in das formale Konzept, das diesmal wie eine Zwangsjacke wirkt.

Plakate mit den Motiven von Daniel Buren und Guilio Paolinis Gipsabgüssen nach der Venus von Medici werben überall in Weimar für das Neue Museum, als ob man das Publikum vor Ort über den Bezug zur Klassik locken müsse. Tatsächlich ist sich Rolf Bothe, Direktor der Kunstsammlungen, des überregionalen Erfolgs sicher; allein um die Rezeption in Weimar sorgt er sich, gehörte doch Ignoranz gegenüber der Moderne lange zum offiziellen Ton. Erst auf seine Initiative kehrte das Bauhaus wieder mit einer Sammlung an den Theaterplatz zurück. Vermittlung sieht Bothe deshalb als eine vorrangige Aufgabe. Zu den Besuchern vor der Eröffnung gehörten daher auch 100 Weimarer Stadtführer.

Die Ausstellung „Auffrischender Wind aus wechselnden Richtungen“ wurde von Maenz gemeinsam mit der Kuratorin Gerda Wendermann eingerichtet. Angesichts der schon geäußerten Befürchtungen, daß sich nun auch in Weimar (wie im Ludwig-Museum Köln und im Berliner Hamburger Bahnhof) ein weiteres Museum der Regie eines privaten Sammlers ausliefert, verspricht Maenz Zurückhaltung. Bothe hat Grund, ihm zu vertrauen. Von der Sammlung, deren Wert 1993 auf 20 Millionen geschätzt wurde, hat das Museum ein Viertel gekauft, ein Viertel schenkte der Sammler, und die zweite Hälfte steht als Dauerleihgabe zur Verfügung. Den Willen, am aktuellen Kunstgeschehen dranzubleiben, bekundeten beide Partner mit Ankäufen während der Umbauzeit: Das Museum erwarb „Das Zimmer“ von Pippilotti Rist, das auf gigantischen roten Ledersofas zum Betrachten von Videos einlädt, und beauftragte Gunda Förster mit einer Lichtinstallation, die das Haus nachts in Blitze taucht, wenn man außen vorbeiläuft. Arbeiten von Sylvie Fleurie, Angela Bulloch, Gerwald Rockenschaub und Monica Bonvicini, noch vor kurzem in Berliner Galerien zu sehen, hat Maenz als „Morgengabe“ geschenkt. Bullochs „Male Laugh Sound Mat“ überschüttet den Besucher, kaum hat er den Fuß auf die Matte am Ende der Treppe gesetzt, die ins Sockelgeschoß und zur Caféteria weiterführt, mit Gelächter. Man wolle lieber das Risiko eingehen, sich zu vergreifen, als nur auf gesicherte Positionen zu setzen, die eh nicht mehr bezahlbar sind, beschreibt Bothe die zukünftige Ankaufspolitik. Doch erst mal wird die Ausstellung, mit der das Kulturstadtjahr in Weimar begonnen hat, das ganze Jahr über bleiben und dann nur in Teilen modifiziert. Katrin Bettina Müller

Neues Museum Weimar, am Rathenauplatz, November bis März Dienstag–Sonntag 10–16.30 Uhr, April bis Oktober, Dienstag–Sonntag 10–18 Uhr.

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