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Deutsche Farben, kerndeutsche Reden

■ Bremen war eher rot-weiß als schwarz-rot-gold: 150 Jahre Märzrevolution Schwerpunkt im neuen Bremischen Jahrbuch

Heute würde man „Sticker“ sagen. Vor 150 Jahren war die blecherne „Kokarde“ an der Uniformmütze von Soldaten und Bürgerwehrmännern, was am Rathaus die Fahne war: eine Demonstration nationaler Zugehörigkeit.

Ausgehend von einer farbigen Lithographie der „Deutschen Nationalkokarde“, die im Bremer Ratsarchiv aufbewahrt wird, untersucht das jetzt erschienene „Bremische Jahrbuch“ unter anderem die Rolle, welche die „deutschen Farben“ Schwarz-Rot-Gold in der Bremer Märzrevolution von 1848 gespielt haben. Geschichtsunterricht, wie er Spaß macht: Auf dem Weg vom kleinen Ding zur großen Politik wird man gut unterhalten und schlauer.

Wo Nationalstaat vorerst noch Traum, Wunschdenken oder Projekt war, kam Symbolen eine heute kaum mehr nachvollziehbare Bedeutung zu. Das galt auch für das ehrwürdige Bremen. Bremisch: Das war immer Rot und Weiß. Deutsch dagegen, das Neue, Revolutionäre, das Symbol für die nationale Einheit, in Frankfurt proklamiert: Schwarz-Rot-Gold.

Hinhaltend blieb der Widerstand des Bremer Senats gegen die neuen Farben immer. Die ewige Sorge um die Souveränität Bremens ..., der Kummer der Konservativen, welche es waren, die 1848 die vom Frankfurter Reichkriegsministerium befohlene Huldigungs-Parade auf den Reichsverweser mit Zurschaustellung der neuen Kokarden und Flaggen ausbremsten.

Auf der Linken die ersten politischen Agitationsplakate, die Hoffnung auf Schwarz-Rot-Gold („Pulver ist schwarz, Blut ist rot, golden flackert die Flamme“ / Freiligraths Lied für Männerchor). Und schon 1847, während der Schaffermahlzeit, eine „kerndeutsche Rede“, die Forderung nach „einer deutschen Flagge“.

Konrad Elmshäuser, Archivar im Staatsarchiv Bremen, ist allen Hinweisen auf den Weg der „deutschen Farben“ von und nach Bremen nachgestiegen. Hat sich mit der Lupe den zahllosen ölhaltigen Marinebildern genähert, immer auf der Suche nach diesen Farben (und hat festgestellt, daß viele Bremer Schiffe schon im Vormärz unter deutscher Flagge in See stachen). Von hoffnungsfrohen Antworten auf die deutschen Umwälzungen aus Übersee weiß Elmshäuser zu erzählen, waren ja nicht wenige gerade wegen der unerträglichen Zustände in ihren Klein- und Kleinststaaten ausgewandert.

Und dann die Restaurierung der alten Verhältnisse. Die Schwarzrotgolden wurden eingemottet, das Bismarcksche Reich war Schwarz-Weiß-Rot (seit 1892 Nationalflagge). Die Weimarer Republik trennte Bismarcks Flagge auf, färbte Weiß zu Gelb und nähte neu zusammen. Bremen blieb widerborstig: Als sechs Monate nach Eberts Proklamation von Schwarzrotgold Rathenau ermordet wurde, hatte das Rathaus noch immer keine Flagge (zog aber aus einem Winkel eine alte 48er Flagge hervor).

Hitler brachte dann eine völlig neue Farbenlehre. Die Farben der alten Lithographie der Nationalkokarde wurden erst wieder im Mai 1949 Gesetz, zusammen mit dem Grundgesetz.

Mehrere solcher instruktiver Beiträge zum Stand der hansestädtischen Geschichtsforschung bietet das Bremische Jahrbuch, in diesem Jahr auf stattliche 360 Seiten angeschwollen. Einmal geht es um Einflüsse schweizerischer Direktdemokratie auf die Bremische Verfassung von 1849; dann um Bremer „Gelegenheitsschriften“ zum Westfälischen Friedensschluß. Weitere Beiträge widmen sich einer Studie zur Bremer Luftverschmutzung 1880 bis 1956 und einer Untersuchung über Umzugsgut jüdischer Auswanderer in den 30er Jahren. Auf fast 60 Seiten erledigt Hans Hermann Meyer die schöne Legende von einer bekannten Bremer Sehenswürdigkeit, der geharnischten Figur des „Complimentarius“, die im Focke-Museum steht.

Der Automatenmensch, der seit Anfang des 17. Jahrhunderts im Schütting stand und Hereinkommende begrüßte, soll, was das Museum bislang immer wieder gern erzählte, die Rüstung des schrecklichen friesischen Junkers Balthasar von Esens tragen.

Wissenschaftlicher Eifer hatte bereits in der Vorjahresausgabe des Bremischen Jahrbuchs eine Legende gefleddert, diesmal wird sie von Klaus Schwarz endgültig beerdigt: die Mär von der Zeit, als die Dienstboten in Lachs schwammen.

Bis in die 90er Jahre immerhin berichteten unkritische Tageszeitungen wie der Weser-Kurier oder die Schweriner Volkszeitung von einer Zeit im 17. Jahrhundert, da der Lachs so massenhaft auftrat in deutschen Flüssen und Bächen, daß sich die Dienstboten beschwerten, der „Herrenfisch“ käme ihnen zu oft auf den Tisch.

Zwar gab es zwischen 1620 und 1680 eine unerklärliche Lachsvermehrung und entsprechenden Preisverfall – doch der des Edelfisches überdrüssige Hausangestellte ist eindeutig ein Schlaraffenlandmotiv.

Dieses Schlaraffenlandmotiv ist aber voraussichtlich weder durch weitere Bremische Jahrbücher noch durch fortgesetzte historische Forschung aus der Welt zu schaffen. Denn die Welt kann nicht auf Puddingberge und Zäune aus Wienerwürstchen verzichten. BuS

Bremisches Jahrbuch. Band 77 (1998). Selbstverlag des Staatsarchivs Bremen. 360 S., zahlreiche Abb., 48 Mark.

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