piwik no script img

Angst vorm „roten Dany“

Die britische Regierung veröffentlicht jetzt Akten aus dem Jahr 1968  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Alle Jahre wieder gibt die britische Regierung am letzten Dezembertag 30 Jahre alte Staatsakten frei. Aber nicht alles ist für die Augen der Öffentlichkeit geeignet, pensionierte Diplomaten durchforsten das Material zuvor nach Stellen, die heute noch die „nationale Sicherheit gefährden“ könnten, wenn sie bekannt würden. Solche Papiere verschwinden im Safe von Westminster.

Das meiste, was veröffentlich wird, ist eher amüsant, wenn man den Vorteil hat, es aus 30 Jahren Entfernung lesen zu können. 1968 war das Jahr der Studentenrevolten und Massenproteste gegen den Vietnamkrieg. Die Demonstrationen in Paris und Berlin versetzten die Labour-Regierung von Harold Wilson in helle Aufregung. Man überlegte fieberhaft, wie ein Übergreifen der Revolten auf Britannien verhindern werden könnte. Es gab sogar Pläne, ein generelles Einreiseverbot für Studenten aus dem Ausland zu verhängen.

Die Direktorin einer Englisch- Schule in London warnte Wilson, daß ihre Studenten den Besuch des Premierministers im nordenglischen Bradford „mit Hilfe dieses Gangsters, dieses roten Dany“, stören wollten. Angeblich wollte der Pariser Studentenführer Daniel Cohn-Bendit die Studenten aufwiegeln und zu irgendwelchen Aktionen verleiten. Man fürchtete um Wilsons Sicherheit, sein Privatsekretär wies die Beamten in der Downing Street darauf hin, daß der Polizist, der auf der Rückseite des Hauses hinter der Gartenmauer Wache schob, „von vorbeilaufenden Mädchen abgelenkt werden“ könnte.

Im Juli 1968 vernahm die Regierung mit Freude die Kunde vom Coup im Irak, der Saddam Hussein an die Macht brachte. „Großbritannien muß bereit sein, dem Irak mit Waffenlieferungen und militärischer Ausbildung zu helfen“, notierte der damalige Außenminister Michael Stewart. Man müsse „unseren Exporteuren jede Unterstützung gewähren, um auf diesem relativ reichen Markt ins Geschäft zu kommen“.

Wilson wollte auch die Malvinen, die im Englischen Falklands heißen, an Argentinien zurückgeben. Der damalige Innenminister Jim Callaghan sagte: „Wir fragten uns, ob die Inseln für Großbritannien irgendwie nützlich sind, und die Antwort lautete: Nein.“ Als man den Inselbewohnern die Pläne unterbreitete, löste das wütende Proteste und Demonstrationen aus, die überwältigende Mehrheit der Falklander wollte britisch bleiben. Da die britische Regierung befürchtete, patriotische Wähler zu verprellen und die gerade angelaufene Kampagne für einheimische Waren zu untergraben, ließ man die Idee schnell wieder fallen.

Die Rückgabe der Falklands wäre Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten gewesen, die 1968 im Aufwind waren. Der Tory- Abgeordnete Enoch Powell hatte in Birmingham seine berüchtigte rassistische Rede gehalten, in der er „Flüsse voller Blut“ prophezeite, sollte die Einwanderungswelle nicht gestoppt werden. Aus den jetzt veröffentlichten Papieren geht allerdings hervor, daß die Pro- Powell-Demonstrationen und Streiks der Ost-Londoner Hafenarbeiter und der Arbeiter vom Smithfield-Fleischmarkt in Wahrheit von Faschisten organisiert und gesteuert waren. Harry Pearman von der antikommunistischen „Moral Rearmament“ und Dennis Harmston, der 1966 für die Partei des ehemaligen Hitler-Freundes Oswald Mosley kandidiert hatte, steckten hinter den „spontanen“ Aktionen, so berichtete der Geheimdienst MI-5.

Callaghan hatte allerdings zwei Monate vor Powells Rede ins gleiche Horn gestoßen. Der „wachsende Zustrom asiatischer Immigranten geht weiter und könnte zur Flut werden“, hatte er gesagt und gewarnt, daß dadurch die Ansätze einer multikulturellen Gesellschaft zunichte gemacht würden. Callaghan hatte es vor allem auf asiatische Einwanderer abgesehen, die aus Ostafrika einreisten. Zwar hatten sie britische Pässe, aber das nützte ihnen nichts. George Thompson, Minister für den Commonwealth, bezeichnete Callaghans Antieinwanderungsgesetz als „prinzipiell falsch, weil es eindeutig aufgrund der Hautfarbe diskriminiert und allem widerspricht, wofür wir stehen“.

Andere Minister wollten dagegen das „Gesetz über Rassenbeziehungen“ zu Fall bringen, das Diskriminierung bei der Wohnungs- und Jobvergabe unterbinden sollte; es wurde verabschiedet. Callaghan sorgte aber dafür, daß die Polizei von dem Gesetz ausgenommen wurde. In einem Interview am Neujahrstag räumte der inzwischen adlige Callaghan ein, daß er damals einen Fehler gemacht habe, den er heute bedauere.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen