: Ramadan-Schlacht in Algeriens Bergen
Zum islamischen Fastenmonat tobt der Krieg zwischen algerischer Armee und radikal-islamistischen GIA in entlegenen Bergregionen. Die Hauptstadt Algier erlebt hingegen den ruhigsten Ramadan seit 1992 ■ Von Reiner Wandler
Das ist nur die Ruhe vor dem Sturm“, lautete die pessimistische Einschätzung vieler Algerier, als zu Anfang des Ramadan Anschläge und Massaker radikaler Islamisten ausblieben. Sie sollten Recht behalten. Der Fastenmonat geht in seine zweite Hälfte – und Besinnung und Gebet werden von Trauer überschattet. Mindestens 80 Menschen haben den letzten zwei Wochen ihr Leben verloren, darunter nach Presseberichten mindestens 30 Mitglieder der Armee und verschiedener Polizeieinheiten.
Die Anschläge konzentrieren sich auf die Berge zwischen den Städten Ain Delfa und Mascara westlich von Algier. Dort operiert Antar Zouabri, ein Führer der radikal-islamistischen Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA). Ein weiterer GIA-Flügel operiert in der Kabylei östlich der Hauptstadt. Die beiden zerstrittenen Teile der GIA haben sich in diese beiden unwegsamen Gebirgsregionen zurückgezogen, nachdem der algerischen Armee Anfang letzten Jahres gelungen war, sie aus Algier und der benachbarten Mitidja- Ebene zu vertreiben.
Der Plan, von dort erneut in die Hauptstadt vorzustoßen und ähnlich wie beim letzten Ramadan mit Autobomben Angst und Schrecken zu verbreiten, ist bisher nicht geglückt. Die Bevölkerung der Hauptstadt begeht erstmals seit sieben Jahren einen ruhigen Fastenmonat. Nacht für Nacht, nach dem Abendessen, mit dem das Fasten bis zum Morgengrauen unterbrochen wird, gehen die Menschen auf die Straße. Konzerte und Theaterverantaltungen erfreuen sich regen Zulaufs wie schon seit Jahren nicht mehr. Durch die Frühzündung einer Autobombe auf einer der Zufahrtsstraßen Algiers im November gewarnt, haben Polizei und Armee die Sicherheitsvorkehrungen bereits weit im Vorfeld des Ramadan verschärft.
Ganz anders sieht es im Ouarensis-Gebirge aus. In den entlegenen Dörfern 120 Kilometer westlich von Algier sehen die Menschen der Abenddämmerung erneut mit Sorge entgegen. Hier verfolgen die GIA in ihrem „Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen“ vor allem solche Familien, denen Kontakte zu Armee und Selbstverteidigungskomitees sowie zum bewaffneten Arm der 1992 verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS), der Armee des Islamischen Heils (AIS), nachgesagt werden. Die Angehörigen der AIS gelten den GIA als „Gottlose und Verräter“ seit die AIS im Oktober 1997 mit der Armee einen unbefristeten Waffenstillstand aushandelte.
Viele der ehemaligen AIS- Kämpfer leben mittlerweile unbehelligt in ihren Dörfern. Einige sollen sich sogar unter Duldung von Polizei und Armee den örtlichen „Selbstverteidigungskomitees“ angeschlossen haben. Wie bereits im vergangenen Jahr, als bei den GIA zugeschriebenen Massakern während des Ramadans im Ouarensis-Gebirge über tausend Menschen ihr Leben verloren, stellen die radikalen Islamisten auch dieses Mal wieder den AIS-Anhängern nach. Vor einer Woche wurden in Ouled Azza, einem kleinen Ort nahe Ain Delfa, acht AIS-Mitglieder regelrecht öffentlich hingerichtet. Die Täter zerrten die acht Person aus ihren Häusern, trieben sie auf dem Platz zusammen, um sie anschließend mit Säbeln und Schußwaffen umzubringen.
Um die Armee- und Polizeieinheiten abzulenken, führen die GIA parallel zu ihren Massakern immer wieder Scheinangriffe durch. So wurde Sonntag vor einer Woche das Dorf Khemis Miliana kurz nach der Abenddämmerung mit 15 selbstgefertigten „Heb Heb“-Granaten beschossen. Die Geschosse schlugen in der Schule und auf dem Markt ein. Ein Bewohner kam dabei ums Leben, 25 wurden verletzt. Zur gleichen Zeit überfielen mehrere Dutzend Männer in langen Gewändern Zmala, ein kleiner Ort fünf Kilometer weiter. 17 Menschen wurden mit Säbeln und Äxten grausam getötet. 29 überlebten mit teils schwersten Verletzungen.
Anders als noch vor einem Jahr stellen Armee und Polizei den GIA auch in den entlegenen Landesteilen nach. Seit Monaten operieren Armee-Einheiten im Ouarensis-Gebirge. Von Hubschraubern aus werden immer wieder Waldgebiete bombardiert, in denen Unterstände der GIA vermutet werden. Bodentruppen rücken nach. Die GIA sind trotzdem schlagfähig: An Silvester gelang es einer Gruppe von Bewaffneten, nur wenige Kilometer vom hermetisch abgeriegelten Erdölhafen Arzew einer Armeepatrouille einen Hinterhalt zu legen. Zwei Geländefahrzeuge gerieten dabei in ein Minenfeld. Als die Soldaten ausstiegen, wurden sie mit Maschinenpistolen beschossen. Die Bilanz: neun Tote.
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