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Kampf ums Überleben

In Rumänien streiken 20.000 Kumpel. Sie wollen Bukarest stürmen. Die Regierung droht bereits mit Polizeieinsätzen  ■ Von Keno Verseck

Bukarest (taz) – In der Vorstellung des rumänischen Regierungssprechers Razvan Popescu ist der Bergarbeiter ein „Unter-Mensch“. So heißt auch sein Roman über das Schiltal – die heruntergekommene Bergbauregion im Nordwesten des Landes – der in Rumänien vor drei Jahren als Verfilmung Furore gemacht hat. Popescus „Unter- Mensch“ ist ein Bergarbeiter, der unter Tage lebt und seine Kumpel ermordet, um ihnen ihre Essensrationen zu stehlen.

Wenn es ums Schiltal geht, weiß der Regierungssprecher, wovon er redet. Bevor er den Roman schrieb, hatte er selbst zwei Jahre als Ingenieur unter Tage gearbeitet. Deshalb mag es ihm nun merkwürdig vorkommen, wenn er die Stellungnahme der Regierung an die Adresse der streikenden Bergarbeiter vorliest. Darin heißt es schlicht: „Kein Dialog angesichts überzogener Forderungen und Gewaltandrohungen.“ Doch persönlich ist Razvan Popescu ratlos.

Wieder einmal streiken seit Montag die rund 20.000 Bergarbeiter aus dem Schiltal und drohen damit, die Hauptstadt Bukarest zu stürmen. Dennoch ist es nicht irgendein Streik. Die Regierung hat im Dezember angekündigt, eine große Zahl bankrotter Staatsbetriebe zu schließen. Ganz oben auf der Liste steht der marode Bergbausektor, der dem Land in den vergangenen Jahren Verluste in Höhe von mehreren Milliarden Dollar beschert hat. Wie ernst es die Regierung meint, hat sie kurz vor Weihnachten gezeigt. Gegen streikende Kumpel in Siebenbürgen setzte sie Gendarmerie ein.

Für die meisten Bergarbeiter geht es nun ums Überleben. Die Streikenden im Schiltal protestieren gegen die Schließung von Minen, verlangen Arbeitsplatzgarantien, Subventionen und staatliche Abnahmegarantien sowie 10.000 Dollar und zwei Hektar Land für jeden Entlassenen. Die Regierung hat die Region zum „benachteiligten Gebiet“ erklärt und gewährt verschiedene Steuererleichterungen. Sie bietet den Bergarbeitern außerdem an, Umschulungen und Existenzgründungen als Kleinunternehmer zu finanzieren. Darüber hinaus können Bergarbeiter ihre Minen gratis selbst übernehmen und privat bewirtschaften. Diese Angebote haben die Bergarbeiter abgelehnt.

Für das ganze Land steht bei dem Streik die Lösung eines alten Komplexes auf dem Spiel. Rumäniens Bergbausektor ist vor allem durch die größenwahnsinnige Industrialisierung Ceaușescus personell aufgeblasen, arbeitet dabei aber mit riesigen Verlusten. Zugleich herrscht eine kaum vorstellbare Misere: Um die Minen herum gibt es meistens nicht mehr als heruntergekommene Neubaughettos. Oft fehlen Kanalisation, Heizung und Warmwasser. Die meisten Bergarbeiter haben nur eine unterdurchschnittliche Bildung und deshalb kaum andere Perspektiven.

Wegen der Arbeits- und Lebensbedingungen war 1977 schon Ceaușescu mit aufständischen Bergarbeitern im Schiltal konfrontiert. In den Jahren 1990 und 1991 stürmten Bergarbeiter aus dem Schiltal unter der Führung von Miron Cozma Bukarest und stürzten eine Regierung, um ihre Forderungen durchzusetzen. Bisher haben die postkommunistischen rumänischen Regierungen den Bergarbeitern nachgegeben, um Unruhen zu vermeiden. Erst 1997 wurden rund 90.000 Bergarbeiter entlassen.

Großzügige Abfindungen wie damals kann sich die Regierung heute nicht leisten. Sie will erst mit den Bergarbeitern verhandeln, wenn sie ihre Forderungen mäßigen. Diese harte Position hat gestern bereits Bergarbeiter aus anderen Regionen veranlaßt, in den Streik zu treten. Die Regierung hat ihrerseits mit Polizeieinsätzen gedroht, falls die Bergarbeiter gewalttätig werden.

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