■ Normalzeit: Polen-Böller
Damit läßt sich der derzeitige Tiefstand all jener Medien treffend bezeichnen, die dazu tendieren, sich freiwillig zum Staatsbüttel zu machen. Es ist schon schlimm genug, daß Justiz, Zoll, Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) und Polizei sich dazu hergeben, die deutsche Knallkörper-Industrie zu schützen. Über Jahrzehnte hat dieses Kartell schlechte Kracher zu überhöhten Preisen abgegeben. Nur widerwillig wurden die Zündschnüre verbessert und neue ins Programm genommen, nachdem im Zeichen der Feuerwerks-TV- Übertragungen schon halb Asien sich über die deutschen Silvester- Knallereien lustig gemacht hatte: „Die haben wirklich nicht das Pulver erfunden!“ so noch Deng Xiaoping am 1. Januar 1996. „Die Knallkörper dürfen in Deutschland nur sechs Gramm Schwarzpulver enthalten“, konterte damals ein Vertreter des Bonner Außenministeriums kühl.
Die Deutschen haben zwar nichts dagegen, daß an einem Tag im Jahr alle bösen Geister in Form von Singvögeln und Tauben mit Lärm und Feuer sämtlichst aus der Stadt verscheucht werden, nichtsdestotrotz gilt hierzulande der Sprengstoff – ebenso wie Prostitution, Glücksspiele und Drogen – als demiritorisches Gut, das zwar fiskalisch hoch bewertet, aber zugleich – übermäßig genossen – moralisch abqualifiziert wird. Das Umweltschutz-Denken hat dies noch verstärkt. Ausnahmen bilden lediglich Sprengstoffexperten im Verein mit prominenten Performance-Künstlern, wenn sie grenzübergreifende Feuerwerke veranstalten, wie z. B. André Heller seinerzeit am Reichstag. Damals recherchierte Alexander Kluge, daß die Feuerwehr dabei genauso Aufstellung genommen hatte wie zuvor schon beim Reichstagsbrand, während die Polizeireiterstaffel am Landwehrkanal rumlungerte und auf Befragen meinte: „Wir sehen zu, daß keine Leichen angeschwommen kommen!“
Heuer ging es historisch anders ab: Wenn man der Polizei glauben wollte, dann konnte schon ein einziger „Polen-Böller“ eine postmoderne Telekom-Sicherheitsfernsprechzelle zerplatzen lassen. Statt sechs enthalten die slawischen Sprengkörper nämlich bis zu fünfzig Gramm Schwarzpulver, das perfiderweise auch noch mit Magnesiumpulver verschnitten wurde. Deutsche Fachleute sprechen deswegen von einem „Blitzsatz“, man muß ihn sich wohl so gemeingefährlich vorstellen wie die „Berliner Tinke“ einst: mit Essigsäure angereichertes Heroin.
Dazu kommt nun aber noch das Wesentliche – die polnische Wirtschaft: Die zwar billigeren und auch bedeutend kräftigeren Knaller taugen nichts – Pfusch am Sprengkörper nennt man das oder auch „einen hohen Anteil an Ausschuß“. Wobei diese Versager oftmals sogar noch heimtückischerweise weiterglimmen und dann „urplötzlich, manchmal Stunden später“, explodieren. Ein wahres Teufelszeug! BAM-Experten raten deswegen, „Blindgänger sofort mit Wasser zu begießen und unschädlich zu machen“. Mehreren Bumms-Berlinern wurden bereits beide Beine und mehr abgerissen.
Es stimmt: Linke und Feministinnen feuerwerken nicht gerne sinnlos am Jahresende, höchstens, daß sie ein bengalisches Tischfeuerwerk entzünden. Rechten und religiösen Leuten können die Knaller dagegen gar nicht laut und die Raketen nicht „Wow“ genug sein. Deswegen muß die Industrie neben den Staatsfeuerwerken auch die privaten Knaller immer üppiger ausrichten, bei der aufblasbaren Raketenwerbung ist ihr das bereits gelungen. Die „rechten“ Medien stecken bei ihrem Insistieren auf dem Sprengstoffgesetz in einem echten Dilemma, das sie mit linksaufklärerischer Geste angehen – und das kann nur verlogen sein. Weswegen sich dann auch sofort vier linke Schlepperbanden in Kreuzberg bildeten, die insgesamt neun Tonnen „Polen-Böller“ nach Deutschland schleusten, wo sie sie sogleich mit gutem Gewinn an brandenburgische Jugendliche weiterverkauften. Helmut Höge
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen