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Die Demut der Schäfchen vor ihrem Hirten

Der Kölner Kardinal Meisner versteigt sich bei seinem Kreuzzug gegen die Abtreibungspille RU 486 zu immer provokativeren Vergleichen. Die Kirchenbasis goutiert den verbalen Amoklauf mit Stillschweigen  ■ Von Markus Völker

Berlin (taz) – Kölns Kardinal Joachim Meisner wird deutlicher. Las sich sein Vergleich der Abtreibungspille RU 486 (auch Myfegine) mit dem Vernichtungsgas Zyklon B noch zwischen den Zeilen, so ist bei Meisners Predigt am gestrigen Dreikönigstag keine Exegese des Textes notwendig, um die Provokation des katholischen Würdenträgers herauszufiltern. Im Dom zu Köln sagte er: „Wo der Mensch sich nicht eingrenzen läßt, dort verfehlt er sich immer am Leben selbst: Zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen ließ, heute unsere Gesellschaft, in der jährlich circa 300.000 unschuldige ungeborene Kinder getötet werden.“ Abtreibungen seien Folge eines „anmaßenden Aufbegehrens gegen Gott“, so Meisner weiter. Nach dem Matthäus-Evangelium hatte Herodes alle Jungen unter zwei Jahren in Bethlehem töten lassen, um Jesus als Konkurrenten um den Königsthron aus der Welt zu schaffen.

Bereits zweimal fühlte Meisner beim Kirchenvolk vor. In lokalen Zeitungen schrieb er, die Abtreibungspille RU 486 sei deshalb nicht auf dem deutschen Markt, da „in deutschem Namen schlimmste Verbrechen durch den Einsatz chemischer Substanzen“ verübt worden seien. Und: „Vor diesem Hintergrund wäre es eine unsägliche Tragödie, wenn sich die chemische Industrie anschicken würde, in Deutschland ein chemisches Tötungsmittel für eine bestimmte gesetzlich abgegrenzte Menschengruppe zur Verfügung zu stellen.“

Während einige Politiker mit Befremden auf Meisners Vergleiche reagieren, scheint sich der Erzbischof der mehrheitlichen Zustimmung der römisch-katholischen Kirchenbasis sicher sein zu können. Selbst Kirchenkritiker bleiben seltsam zurückhaltend.

„Von der Erziehung her sind Katholiken sehr konfliktscheu, vielen fehlt der protestantische Widerstandsgeist“, versucht Christian Weisner an einer Erklärung zu zimmern. Der Chef der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ muß es wissen. Er sorgt sich seit Jahren als gläubiger Katholik um das beschädigte Image seiner Kirche. Vor drei Jahren hat die Reformbewegung für ihr Anliegen 1,8 Millionen Unterschriften gesammelt.

Weisner will eine offene Kirche, eine, die mit Pluralität umgehen kann, die Widerspruch duldet. Die Form des Protestes seiner Laienkampagne bezeichnet er als „moderat“. Er meint: „Geduld ist unsere stärkste Tugend. Wenn wir Krawall schlagen, verprellen wir nur die Leute, die wir gewinnen wollen.“

Zwar habe man durch stillen Protest viel erreicht, aber wie man auf das Bischofswort Meisners reagieren könne, weiß Weisner nicht so recht. Eine Menschenkette um den Kölner Dom? „Ja, aber es ist so schwer, Menschen auf die Straße zu bringen.“ Eine andere medienwirksame Form des Protests? „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie man einen Bischof Ehrfurcht und Demut lehrt.“ Kaum hörbar fügt er noch an: „...und ihm den Mund stopft.“

So offen artikuliert Magdalena Bogner ihren Groll nicht. Die Präsidentin des katholischen Frauenverbandes verpackt ihre Empörung in zitierfähige Sätze. Meisners Form der Debatte hält sie für „unangemessen und problematisch“. Polemik müsse Aufklärung weichen. Auch sie ist im Dilemma vieler Katholiken befangen, Abtreibungen abzulehnen, aber trotzdem mit der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs leben zu müssen. „Ist eine Frau damit konfrontiert“, sagt Bogner, „dann möchte ich jedoch, daß differenziert mit dem Thema umgegangen wird.“ Meisner Argument, die Einführung von RU 486 führe zu einer Privatisierung der Abtreibung im stillen Kämmerlein, nennt sie „schlichtweg falsch und irreführend. Die Abtreibungspille ist kein Medikament wie Aspirin, auch wenn hohe Geistliche das glauben machen wollen.“

In Großbritannien und Frankreich – in beiden Ländern ist RU 486 bereits zugelassen – ist ein drei- bis viermaliger Arztbesuch vorgeschrieben. Der Abort muß in einer Klinik stattfinden. Bogner spricht sich dafür aus, die Abtreibungspille als „Pharmakon“ zu bezeichnen. Dieser Begriff mache eher deutlich, daß eine psychosoziale Betreuung bei Einnahme gewährleistet werden muß.

Kritische Stimmen auf höchster kirchlicher Ebene sind nicht zu vernehmen. „In Hinterzimmer gibt es die sicher“, sagt der Referent des Limburger Bischofs Caspar Söning, „aber Bischöfe kommentieren grundsätzlich nie ihre Kollegen in der Öffentlichkeit.“

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