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Doppelte StaatsangehörigkeitLuft rauslassen

■ Ausländerbeauftragte Dagmar Lill listet Argumente gegen CDU-Kampagne auf

Die Empörung der Bremer Ausländerbeauftragten über Unionspolitiker und ihre RAF-Vergleiche beim Thema doppelte Staatsbürgerschaft ist noch frisch. Dennoch will Dagmar Lill eine sachliche Debatte. Sie hofft, daß neben jedem Unterschriften sammelnden CDU-Stand andere Bürger Aufklärungsarbeit leisten. „Dann werden die Argumente der Opposition sich in Luft auflösen“.

Da fügt es sich für Lill ideal, daß jetzt eine neue Broschüre vorliegt, die über das „Moderne Staatsangehörigkeitsrecht in Vorbereitung“ aufklärt.

Vier Gruppen von Personen, die bei einer Einbürgerung bald ihren alten Paß behalten dürfen, sind dort aufgeführt.

–In Deutschland geborene Kinder von Eltern, die bereits hier geboren wurden oder seit 14 Jahren legal hier leben;

–Jugendliche unter 16, von denen zumindest ein Elternteil eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung hat und mit dem das Kind seit mindestens fünf Jahren in Deutschland lebt;

–Wer acht Jahre – und nicht, wie bisher gefordert, 15 – unbescholten hier lebt und seinen Lebensunterhalt selbst bestreitet;

–Ehepartner von Deutschen, wenn sie mindestens zwei Jahre verheiratet sind und der Ehepartner seit mindestens drei Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt.

Die neuen Regeln zielten auf die Integration sehr lange hier lebender Menschen ab, betonte Lill. „Es ist völlig absurd zu behaupten, daß Terroristen durch die doppelte Staatsbürgerschaft sehr schnell eingebürgert werden könnten“. Lill warnte gerade asylberechtigte Flüchtlinge davor, den alten Paß zu behalten. „Sie stehen dann im Ausland nicht unter dem Schutz der deutschen Botschaft“.

Menschen mit zwei Pässen seien im Inland nur Deutsche, sie hätten weder doppelt so viele Rechte noch doppelt so viele Pflichten. So müsse zum Beispiel der Wehrdienst entweder in der Türkei oder in Deutschland abgeleistet werden.

Gerade für ältere Ausländer der ersten Einwanderergeneration sprächen viele Gründe – auch emotionale – dagegen, den alten Paß abzugeben: familiäre Bindungen, Mißtrauen gegenüber der politischen Entwicklung sowohl in Deutschland als auch in der Türkei, die Sorge, im Todesfall nicht ins Geburtsland überführt werden zu können. Angst vor dem Verlust des Eigentums ist ein weiterer triftiger Grund: Zwar dürfen Ausländer in der Türkei Immobilien besitzen, erläuterte Mehmet Kilinc vom Islam-Archiv. Ausnahme seien militärisch kontrollierte Sondergebiete. „Die machen in der Türkei 50 Prozent des Landes aus“, sagte Kilinc. Weil nicht klar sei, ob das Eigentum bei Einbürgerung in Deutschland an den Staat falle, verteilen die türkischen Behörden rosa Karten, die einen späteren Anspruch begründen. Diese Garantie unterliege aber der Beamtenwillkür. Kilinc räumte ein, daß sich darum viele ältere Türken nach einer Einbürgerung in Deutschland stillschweigend wieder einen türkischen Paß besorgten.

Norbert Breeger vom Dachverband der Ausländerkulturvereine (DAB) wies auf Lücken im rot-grünen Gesetzesentwurf hin: In der Frage, wie die für eine Einbürgerung geforderte Unterhaltsfähigkeit ausgelegt wird, unterliegen die Antragsteller dem Ermessen der Sachbearbeiter. Für Menschen, die seit Jahren mit ungesichertem Status in Deutschland lebten, müsse eine Altfallregelung gelten.

In Bremen wurden 1997 genau 4.323 Menschen eingebürgert. Davon waren 3.361 Aussiedler, die ihren alten Paß generell sowieso behalten dürfen. Von den 954 Ausländern waren 12,4 Prozent Doppelstaatler, zumeist aus Ländern, die ihre Bürger nicht aus der Staatsbürgerschaft entlassen. Lill rät, weiterhin den deutschen Paß zu beantragen und die Frage, ob man seinen alten Paß abgeben wolle, zu verneinen. foj

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