Die späte Liebe des Gerhard Schröder

Einst hatten sie nicht viel füreinander übrig, Gerhard Schröder und Helmut Schmidt. Auf der Gala zum 80. des Altkanzlers war der neue Regierungschef voll des Lobes, während der Jubilar ein paar Spitzen verteilte  ■ Aus Hamburg Axel Kintzinger

Das Silberhaar ist noch korrekt gescheitelt, aber schon lange nicht mehr voll, im Gesicht sind die ehemals markanten Züge längst verschwommen, und ohne Stock geht es nur noch langsam voran für Helmut Schmidt.

Der Politiker, von 1974 bis 1982 der am längsten amtierende Bundeskanzler, den die SPD bislang gestellt hat, ist keine imposante Erscheinung mehr, und das kann man einem Mann seines Alters auch nicht verübeln. Zwei seiner Freunde meinten dennoch, den alten Mann zu dessen 80. Geburtstag noch einmal voll ins Rampenlicht schieben zu müssen, und das ist wörtlich zu nehmen.

Jürgen Flimm, Intendant des Hamburger Thalia-Theaters, stellte sein eigenes Haus für ein Fest zu Ehren Helmut Schmidts zur Verfügung. Mitorganisator der Feier am Mittwoch nachmittag war Manfred Lahnstein, Bertelsmann-Vorstand. Lahnstein hat Helmut Schmidt einiges zu verdanken, immerhin machte der ihn am Ende seiner Amtszeit zum Finanzminister – ein nicht unwichtiges Sprungbrett für Lahnsteins spätere Karriere mit ihrem vorläufigen Höhepunkt im Bertelsmann-Vorstand. Woher allerdings die Freundschaft zwischen Flimm und Schmidt herrührt, ist unklar. Der Theatermann, der noch Ende der 80er Jahre Sponsorengeld von Rüstungsfirmen ablehnte und sich mit der SPD nach ihrer Zustimmung zum Beschneiden des Asylrechts überworfen hatte, galt bislang nicht als Sozialdemokrat der Schmidt-Linie. Immerhin aber war er es, der einst dem Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder einen Kulturminister empfohlen hatte, nämlich Michael Naumann.

Vielleicht schließt sich da wieder ein Kreis. Schröder war natürlich auch einer der 800 Gäste in Hamburg, saß zusammen mit den Repräsentanten des heutigen Deutschlands – dem Bundespräsidenten Roman Herzog, dem Bundestagspräsidenten Thierse – neben den Heroen der 70er Jahre: dem ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger, dem einstigen französischen Staatspräsident Valery Giscard d'Estaing und dem früheren britischen konservativen Premier Edward Heath. Im Unterschied zu Schröder übrigens alles Freunde von Schmidt, wie sie nicht müde wurden zu betonen.

Schröder, immerhin, setzt auf späte Liebe: Seine Orientierung an Schmidt sei früher „unwillig“ gewesen und heute „freiwillig“. Früher, das war, als Helmut Schmidt Leute wie den Vorsitzenden der Jungsozialisten, Gerhard Schröder, noch mit Kalauern wie diesem überzog: „Ihr bestreitet alles, nur nicht euren Lebensunterhalt.“

Es war der neue Kanzler, der Schmidt an diese Episode erinnerte. Vielleicht gehört es tatsächlich zu Schröders größten Stärken, wichtige Feinde mit breitem Grinsen umarmend zu entwaffnen. Und zumindest an diesem Nachmittag und in diesem Theater war Helmut Schmidt wichtig. Deswegen wohl versicherte ihm Schröder bei der Gelegenheit, die deutsch-franzsische Achse exakt so zu pflegen, wie Schmidt dies getan habe. Ob das auch stimmt? An einem anderen Tag, in einem anderen Saal und vor anderen wichtigen Leuten dürfte Schröder seine Außenpolitik auch wieder anders charakterisieren. So ist er halt und damit so ganz anders als der Jubilar. Der hat sich immer an Maximen orientiert, die beim Philosophen Immanuel Kant entlehnt waren und etwa so aussahen: „Politik ist pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken.“ Marion Gräfin Dönhoff, der Schmidt seit 1982 als Mitherausgeber der Zeit beisteht, hat ihm dies zugeschrieben. Geradlinig bis zur Verbohrtheit, so erlebt sie ihn bis heute in der täglichen Arbeit. „Ich muß meine Vorurteile schützen“, habe er einmal in der Redaktionskonferenz ausgerufen, „wo bliebe denn sonst der Charakter!“

Immer wieder betonen die Lobredner, allen voran Roman Herzog, „Geradlinigkeit, Verläßlichkeit und Integrität“ des Altkanzlers. Und da Gerhard Schröder vom Jubilar nur zwei Plätze entfernt sitzt, gerät auch er oft ins Blickfeld, denken die Gäste zwangsläufig auch an ihn. Der Vergleich geht nicht gut aus für Schröder. Beinahe scheint es, als rühre Helmut Schmidt in dieser Wunde auch gerne selbst noch ein wenig herum. Etwa dann, wenn er über Epochenwechsel und Zeitenwenden spricht, wenn er „die Implosion der imperialistischen Sowjetunion“ mit der „Öffnung Chinas“ und dem „Beginn des Euro“ in Verbindung setzt. Wenn er also schlicht das 21. Jahrhundert für „längst eröffnet“ erklärt und auf diese Weise daran erinnert, von welchem vergleichsweise kleinen Kaliber die Einlassungen des heutigen Regierungschefs so oft sind.

Und weil sich die Chance gerade bietet, läßt Helmut Schmidt auch gleich eine Spitze gegen das muntere Privatleben seiner politischen Nachfahren ab. „Loki und ich kennen uns seit 70 Jahren“, erzählt der Jubilar. Kleine Pause. „Seit 56 Jahren sind wir verheiratet.“ Große Pause. „Davon können sich Schröder und Lafontaine eine Stange abschneiden.“