piwik no script img

Das Berufliche ist politisch

Weniger Teilnehmer und andere Inhalte: Vor 25 Jahren realisierte Hamburg als erstes Bundesland ein Bildungsurlaubsgesetz  ■ Von Diana Engel

Urlaub ist nicht gleich Urlaub. Daß es neben dem gesetzlich verbrieften Recht auf Erholungsurlaub auch das auf Bildungsurlaub gibt – das ist vielen ArbeitnehmerInnen gar nicht bekannt. Dabei war Hamburg das erste Bundesland, das vor 25 Jahren ein Bildungsurlaubsgesetz erließ.

Ein Vierteljahrhundert später müssen viele Hamburger Bildungsträger feststellen: Die Anmeldungen gehen zurück. Davon kann Dieter Bensmann vom Politischen Bildungswerk „Umdenken“ ein Lied singen. Vor einem Jahr reduzierte die Einrichtung der Heinrich-Böll-Stiftung ihr Angebot an Bildungsurlauben um ein Drittel.

Bensmann vermutet, daß viele ArbeitnehmerInnen ihren Bil-dungsurlaub noch weniger als bisher in Anspruch nehmen, weil sie in ihren Betrieben zu spüren bekommen, wie sehr sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschärft – von Seiten der KollegInnen, die schimpften, wenn jemand für fünf Tage vom Arbeitsplatz fernbleibt, wie auch von Seiten einiger ArbeitgeberInnen, von denen sich BildungsurlauberInnen unter Druck gesetzt fühlten.

Das Bildungswerk „Arbeit und Leben“, getragen vom Deutschen Gewerkschaftsbund und der Volkshochschule, blieb von dieser Entwicklung bislang verschont. „Die meisten unserer TeilnehmerInnen kommen aus Großbetrieben“, sagt Geschäftsführerin Sabine Kätels, „dort gibt es einen starken Betriebsrat, der unterstützend eingreifen kann“. Vor weiteren Sparmaßnahmen kann der jedoch auch nicht schützen. Die Geschäftsführerin befürchtet, daß sich das Profil von „Arbeit und Leben“ stark verändern wird. Denn die öffentlichen Fördermittel, dank derer seit 1981 kostengünstige Programme besonders auch für sozial Benachteiligte angeboten werden konnten, fließen spärlicher. Zudem ist „Arbeit und Leben“ zunehmend auf EU-Geld angewiesen, und „die EU fördert nicht die Benachteiligten“, weiß Sabine Kätels, „sie investiert eher in die berufliche Mobilität junger, aufstrebender Arbeitnehmer in Europa“. „Umdenken“ übt ab diesem Jahr das Prinzip Umverteilen bei den Urlaubenden selbst: Besserverdienende sollen deutlich mehr zahlen und damit auch Beschäftigten aus niedrigen Lohngruppen die Teilnahme am Bildungsurlaub ermöglichen.

Aber nicht nur der Geldbeutel, auch die Inhalte entscheiden darüber, welche Zukunft der Bildungsurlaub haben wird. So haben sich mit den Interessen der TeilnehmerInnen auch die Programme der Bildungsträger über die Jahre gewandelt. Was bei „Arbeit und Leben“ in den 70ern „Die Geschichte der Arbeiterbewegung“ war, ist heute der „Verbraucherschutz“; hieß es beim Frauenseminar des „ABC Bildungs- und Tagungszentrums“ im Kehdinger Land früher noch „Wie repariere ich mein Auto selber?“, geht es heute um die Frage, was die Geschlechter denn voneinander lernen können.

Bei allen Unterschieden zwischen den Trägern, ihren Inhalten und ihren spezifischen Zielgruppen steht fest: Die starre Grenze zwischen politischer und beruflicher Bildung wird durchlässiger. „Berufliche Bildung ist ja auch nicht per se apolitisch“, sagt ABC-Geschäftsführerin Maja Kilger, „sie muß so gestaltet sein, daß sie politisch verantwortbar ist.“

Auf dem freien Markt wimmelt es an Angeboten zur beruflichen Weiterqualifizierung. Hat der Bildungsurlaub noch eine Chance im Haifischbecken der realen Konkurrenzwirtschaft? „Die Bezeichnung Bildungsurlaub steht für Qualität“, versichert Klaus Schepe vom Hamburger Amt für berufliche Bildung und Weiterbildung, das dem Bildungsurlaub seinen Titel verleiht. „Bei einem zeitlichen Umfang von 30 Stunden die Woche ist er sehr lernintensiv und lerneffizient“, freut sich Schepe.

Noch etwas läßt sein Herz höher hüpfen. 1996 legte das Arbeitsgericht die Bestimmungen des Hamburgischen Bildungsurlaubsgesetzes weit aus: Der gesetzliche Anspruch auf Lohnfortzahlung für die Zeit des Bildungsurlaubs gilt demnach auch, falls das erlernte Wissen nur „im weitesten Sinne“ für den Arbeitgeber von Vorteil ist. Wenn die TeilnehmerInnen also ihr Gedächtnis in Sachen „Geschichte der Arbeiterbewegung“ wieder auffrischen wollen, besteht von rechtlicher Seite kein Hindernis.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen