piwik no script img

Bein im Bauch im bürgernahen Bürgeramt

■ Gestern wurde das zweite „Bürgeramt“ in Bremen-Vegesack eröffnet / Derweil herrscht im ersten Vorzeige-Bürgeramt Horn-Lehe große Personalnot/ Die Folge: Wartezeiten wie früher

Im Modell-Bürgeramt Horn-Lehe ist die Hölle los. Wartezeiten von „bis zu zwei Stunden“ mute man den Menschen in letzter Zeit zu, wenn Personalausweise neu beantragt, Ummeldeformulare abgegeben oder gelbe Säcke abgeholt werden, sagt Mitarbeiter Harm Dunkhase. Dabei sollte das Zusammenfassen mehrerer Ämter zu einem Bürgeramt, wie der Name schon sagt, zu einer bürgernäheren Verwaltung führen. Doch: Operation gelungen, Bürger warten weiter. Denn mit der derzeitigen Personalausstattung der Bürgerämter bleiben die Vorteile der neuen Organisationsform auf der Strecke.

Ein koreanischer Staatsbürger, der ein grünes Formular zur Wohnanmeldung in der Hand hat, ist sichtlich Behörden-traumatisiert. In einer halbstündigen Schlange wartete er gestern darauf, an die Reihe zu kommen. Jedes Mal, wenn das erlösende Dingdangdong den Nächsten zum Eintritt in den Saal der Sachbearbeiter aufforderte, säuselte er müde mit. „Dingdangdong“. „Dingdangdong“. Und rückte der Tür einen Schritt näher.

Ein paar Stunden vorher in Vegesack: Innensenator Ralf H. Borttscheller eröffnet das zweite Modell-Bürgeramt Bremens. „Ein verbessertes Beratungs- und Informationsangebot, erweiterte Öffnungszeiten, weniger Wartezeiten – das sind die konkreten Fortschritte“, lobte der Senator die Vorzüge des Bürgeramtes gegenüber den alten, aber längst noch nicht abgeschafften Organisationsformen, wo für jedes Formular ein anderes Amt angesteuert werden mußte. Genau das gleiche hatte er im November bei der Einweihung des ersten Modell-Bürgeramtes in Horn-Lehe versprochen. Wohnungsamt, Meldestelle und allgemeine Verwaltung wurden zu einem Amt zusammengelegt, um den Menschen Frustration mit der Bürokratie weitgehend zu ersparen. Das Konzept ist gut, doch die Versprechungen sind leer.

„Vieles von dem, was die Bürger früher gestört hat, ist auch mit dem neuen Bürgeramt geblieben“, sagt Mitarbeiter Dunkhase. Der Grund dafür: Offensichtliche Personalnot im erneuerten Amt. Nur vier von acht Schreibtischen sind hier besetzt. „Zwei Mitarbeiter sind in Rente gegangen, einer ist krank. Und unsere Entlastungskraft ist gerade in das neue Vegesacker Bürgeramt augeliehen worden, damit dort alles klappt“, erklärt Dunkhase den Notstand. Die vier verbleibenden MitarbeiterInnen schöben einen „Berg von Überstunden“ vor sich her, um die Pforten bürgernah 36 Wochenstunden offenhalten zu können – früher waren es nur 26 Stunden. Der Postdurchlauf hat inzwischen einen Rückstau von vier Wochen, die Bearbeitung eines B-Scheins, eigentlich in einem Tag zu erledigen, dauert fast zwei Wochen. Ähnliche Verhältnisse sagt Dunkhase nun auch für das Bürgeramt in Vegesack voraus.

Zu kämpfen haben die MitarbeiterInnen in Horn-Lehe auch mit der wachsenden Popularität ihres Amtes. Aus anderen Ortsteilen und vom nahen Universitäts-Campus kämen die Menschen inzwischen, um den Mühlen der Bürokratie in anderen Stadtteilen zu entkommen. Die Folge: Ein Mitarbeiter ist für rund 10.000 Menschen zuständig. In Heidelberg, Geburtsort der Bürgerämter, kommt auf 4.500 Menschen ein Mitarbeiter. Zurück in alte Zeiten wollen die gestreßten Mitarbeiter dennoch nicht: „Bürgerämter sind gut, sinnvoll und vor allem notwendig“, sagt Dunkhase.

Der Notstand in Horn-Lehe wird auch im Innenressort beobachtet. „Schnellstmöglich“ solle die „unglückliche Situation“ behoben werden, verspricht die Behördensprecherin. Sie hebt hervor, daß Bremen trotz der finanziellen Notlage den Mut zu einem solchen Modellprojekt aufgebracht habe. In zwei bis drei Monaten, prognostiziert sie, werden die offenen Stellen neu besetzt sein. Christoph Dowe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen