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Fehlende Begeisterung

■ Im Tränenpalast auf André Herzberg warten – vergeblich und doch nicht umsonst

Womöglich ähnelt die Hauptstadt Berlin der Weltstadt New York ja doch mehr, als einem lieb ist: So viele Künstler strengen sich für so wenig Begeisterung an. Hier eine Pudelmützen-Premiere, da noch ein katholisches Gläschen Sekt – welche aufrichtig empfindende Seele ödet das nicht an?

Abende sind, da bleibt für den Tränenpalast geringste Begeisterung übrig. Der Tränenpalast wird dieser Tage von aufrecht empfindenden Seelen bespielt. Aufrecht empfindende Seelen empören und verweigern sich mangelnder Begeisterung. Ex-Pankow-Sänger André Herzberg war und ist eine aufrecht empfindende Seele, was einfach bewiesen werden kann: Er tritt nicht auf, obwohl er will und soll. Doch die Begeisterung reicht nicht. Man kann es Herzberg, vielleicht aber auch seinem Publikum nicht verübeln.

Obwohl der Tränenpalast ein schöner Ort ist für kleine Kunst. Seitlich der Bühne glitzert ein mannshohes Saxophon, und auf den alten Terrazzoplatten hüpfen die Lichtkringel in ordentlichen Abständen. In Halbstundenfrist tut sich etwas. Eine blonde Kommandeuse in Lederjacke und Lederstiefeln schreitet von Tisch zu Tisch und tut in freundlichem Sächsisch Dinge kund. Wahrscheinlich soll schon wieder ein Krankenhaus geschlossen werden. Unsereins würde ja unterschreiben, bekommt aber keine Gelegenheit dazu geboten. Die Blonde hat nicht allzu viele Tische abzuschreiten. Der Tränenpalast ist nicht gerade ausverkauft, aber sehr gemütlich. Mit jedem Schluck Riesling wird das Warten auf André Herzberg schöner, werden die Lichtkringel runder und die Gespräche am Nebentisch dringlich aufarbeitender. Der Osten hat die vierzigjährige Abwesenheit von Psychoanalyse nachzuholen. Auch ich höre nicht mehr auf meine Mutter. Man kann jetzt alles haben. Hier zum Beispiel Salsa vom Tonband. Mit jedem neuen Schluck Riesling wird Berlin aufregender. Die Nacht! Der Regen! Die Lichter! Die Lichter im Regen! Großstadtaugen seh'n dich an (Kurt Tucholsky) usw.

Doch André Herzberg kommt nicht an diesem dritten Abend seines neuen Soloprogramms. Die Premiere war gut besucht. Zum zweiten Abend kamen dann nur noch fünfundzwanzig Leute. André, du hast kühn geplant. Selbst Wiglaf Droste läßt es bei einem Volksbühnen-Auftritt pro Monat bewenden. Höchstens.

Wegen der Begeisterung. Die ersten von Herzbergs Gästen gehen. Für immer oder nur vor die Tür, um eine zu rauchen? Die blonde Kommandeuse schreitet gemessen zum Bühnenaufgang. Womöglich will sie den Künstler auffordern, sich rauszuscheren, bevor sein Restpublikum verdunstet ist. Von fünfzehn Leuten gehen erst drei, dafür kommen zwei zurück. Die Veranstalter befinden sich in der Überzahl. „For I Was Born To Be Blue“, Mel Torme – passender Song. Dann flimmert Licht. „Ah!“ Falscher Alarm. Herzberg kommt nicht. Am Oranienburger Tor flanieren ganze drei Huren. So wenig Begeisterung in Berlin. Anke Westphal

Mögliche nächste Vorstellungen: Sa./So., 20 Uhr, Tränenpalast

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