: Avantgardebanausentum feierte sich selbst
■ Das Festival zum Werk des Komponisten Krzystof Penderecki erging sich in Diffamierungen – und bot gute Musik
Als der polnische Komponist Krzysztof Penderecki immer tonaler komponierte, waren nicht nur Kritiker erstaunt. Hatte er doch mit den 1968 entstandenen Stücken „Anaklasis“ und dem zweiten Streichquartett oder auch mit dem „Stabat mater“ erstaunliche Klangwelten geschaffen. Die jedoch, so sagt er heute, hätte er nicht wiederholen können. „Das wäre eine Masche geworden.“ Und so entschied er sich für Remakes verschiedener Konvenienz, nistete sich immer mehr ein auf gesichertem Terrain: Mahler, Bruckner, Schumann. Was bei Penderecki noch an unser Jahrhundert erinnert, verbindet sich mit Namen wie Bartók und Schostakowitsch. Verbunden mit einem stark religiösen Engagement – und der Komposition des „Polnischen Requiems“ zum Beispiel – hatte er damit enormen Erfolg, so daß man heute vorsichtig anfragen kann, ob er nicht doch, angesichts der vielversprechenden „Anfänge“, ein Opfer dieses Erfolges geworden ist. Um 1990 hat es bereits eine ernsthafte ästhetische Debatte um die künstlerischen Erscheinungsformen der Postmoderne gegeben. An der Person Penderecki versuchte es die Deutsche Kammerphilharmonie nun anläßlich seines 65. Geburtstages in einem dreitägigen Festival erneut.
Um es gleich zu sagen: Es gab keine Debatte, sondern anstelle von Argumenten Aggressionen, Unterstellungen, Diffamierungen. Wenn Penderecki auf dem Flyer in Anspielung auf die musikalische Avantgarde als Titelmotto sagen darf, man müsse heute wieder Musik und nicht mehr „Klanggags“ komponieren, wenn der Hamburger Komponist Peter Michael Hamel behauptet, die publizistisch gestützte Avantgarde sei fundamentalistisch und dabei an den Scharfrichterkreis um Adorno erinnert, und wenn nicht zuletzt der Moderator Hans-Christian Schmidt-Banse bemerkt, man könne ja, wie die Avantgardisten, ein Haus in 4000 m Tiefe bauen, aber nicht erwarten, daß jemand darin wohnt, so ist damit das Niveau umrissen, in der sich die Apologeten dieses abonnementtauglichen, redundanten Stils bewegten. Zwar hielt Ludolf Baucke aus Hannover dagegen: „Kunst kann nur neu entstehen. Es geht auch nicht ums Material, es geht um die Dichte des Geschehens und die Logik der Entwicklung“, doch bewirkten solche Einwände keine vernünftige Debatte. Die Oldenburger Kompositionsprofessorin Violeta Dinescu, selbst ausgewiesene Avantgardistin, wollte vor allem höflich bleiben und lobte Penderecki für seine raren Überraschungsmomente. Aber außer unstrukturiert vorgetragenen emotionalen Scharfschüssen, unverbundenen biographischen Statements, unklaren Äußerungen über Ästhetik kam in diesem „Großen Musikabend von Radio Bremen“ wenig.
Denn auf dem Podium mangelte es auch noch an anderen Dingen: Banse ist Professor für Rezeptionsdidaktik in Osnabrück. Die Hoffnung war also berechtigt, daß man ihm diese Profession auch an der Art seiner Gesprächsführung anmerkten würde. Aber Pustekuchen. Das Klarinettenquartett, so Banse, habe Penderecki aufgrund einer erschütternden Erfahrung mit dem langsamen Satz von Franz Schuberts Streichquintett geschrieben. Der Anfang des Quintetts wurde eingespielt – zu leise, in einer schlechten Interpretation – aber Banse sagte nicht, was das absolut Neue an diesem Werk ist: nämlich nach der 1828 noch immer gültigen thematischen Entwicklung bei Beethoven die Gleichzeitigkeit von drei vollkommen verschiedenen Strukturen – Klangkomposition!
Der sensationell gute russische Cellist Boris Pergamentschikow spielte in seinem Solorezital leider nur ein kurzes Stück von Penderecki. Warum statt Bach, Kurtág und Noam Sheriff nicht Werke, die Pendereckis künstlerische Herkunft situieren: Schostakowitsch, Lutos-lawski? Verschenkte Chance für ein Porträtkonzert. Aufschlußreich und fabelhaft gespielt dann das 2. Streichquartett von 1968: Hozumi Murata, Matthias Cordes, Anja Manthey und Tanja Tetzlaff. Die kongeniale Wiedergabe erinnerte schmerzhaft an die vergangene innovative Kraft Pendereckis. Das Streich-Trio von 1991 – Günter Schwiddesen, Friedrike Latzko und Marc Froncoux – erstaunte durch seine Kraftlosigkeit. Und das Klarinettentrio – eben jene Antwort auf Schubert – kam mit der uralten Geste des Seufzers als trauriger, klangschöner Abschied daher: Alexander Bader, Konstanze Lerbs, Klaus Heidemann und Stefan Schrader. Und im von Penderecki eindrucksvoll dirigierten Sinfoniekonzert: warum zwischen zwei Werken von Schostakowitsch nur Bearbeitungen, als da waren ein süffiges Konzert für Viola und Orchester in der Fassung für Cello, eine Streichorchesterfassung von „De Profundis“ und eine Streichorchesterfassung des „Agnus Dei“ aus dem „Polnischen Requiem“? Mit der Wiedergabe des Cellokonzertes von Schostakowitsch entpuppte sich Boris Pergamentschikow als der eigentliche Star des Festivals – auch hier brillant begleitet von der Deutschen Kammerphilharmonie.
Was denn künstlerisch kommt nach dem gründlich erschütterten Fortschrittsglauben, bleibt nach wie vor eine wichtige Frage. Bedenklich erscheint, daß ernsthaft vertreten wurde, daß nichts mehr kommt, oder daß mit dem Rückgriff auf alte Formen politische und philosophische Systeme suggeriert werden, die es nicht mehr gibt. Wenn die Kunst nicht mehr die Diskontinuität und die Orientierungslosigkeit unserer Zeit zeigt – so wie sie es immer getan hat! – wer dann? Das Beispiel Penderecki verweist auf das Problem, aber um es grundsätzlich zu erörtern, braucht es andere Komponisten und eine andere theoretische Aufbereitung.
Ute Schalz-Laurenze
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