: Von Frust und Lust im samtenen Sweat-shop
Gleiche Arbeit heißt bei Microsoft noch längst nicht das gleiche. Während Festangestellte bei guten Gehältern in firmeneigenen Sportanlagen trainieren, haben Kräfte auf Zeit nicht mal eine Krankenversicherung. Eine neue Gewerkschaft kämpft gegen diese Ungerechtigkeiten ■ Aus Seattle Peter Tautfest
Gretchen Haldeman freut sich jeden Morgen auf ihre Arbeit. Ihr Büro liegt, anders als die Zentrale ihrer Firma, in der Innenstadt von Seattle, was ihr das Gefühl einer gewissen Unabhängigkeit gibt. Empfangen will sie da gleichwohl niemanden. „Es gibt hier nichts zu sehen außer Leuten am Bildschirm“, sagt sie. Und dann müßte sie auch nachfragen, ob der Besuch eines Journalisten genehmigt wird. Aber die Stadt ist voll schöner Cafés. „Wie wär's mit dem ,Zeitgeist‘ in der Jackson Street, um 12 Uhr?“
Anders als der weitläufige Campus von Microsoft draußen in Redmond mit seinen lichtdurchfluteten mehrstöckigen Gebäuden, ist das Café Zeitgeist ein winziger Imbiß, in dem um die Mittagszeit die Angestellten der umliegenden Büros und Werkstätten sich mit Studenten und Hausfrauen mischen. Gretchen Haldeman hat das Gefühl, Teil einer guten Sache zu sein. Daß dieses Café – und nicht nur dieses – nicht nur zu den Stoßzeiten voll ist, daß die Jackson und die anstoßenden Straßen sich abends nicht schlagartig leeren, schreibt sie zum Teil ihrer Arbeit zu. Gewiß, Microsoft hat den vielleicht wichtigsten Anteil daran. Der Software-Gigant in Redmond hat Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen und hochqualifizierte Leute nach Seattle gezogen, aber damit eine Stadt lebendig wird, bedarf es noch mehr. Es braucht auch das urbane Leben, und da leistet Haldeman ihren Beitrag.
Gretchen Haldeman ist Redakteurin für sidewalk.com, den Online-Dienst vom Microsoft-Network MSN, der wie ein elektronisches Stadtmagazin funktioniert und Veranstaltungskalender, Öffnungszeiten und Einkaufstips veröffentlicht. Sie sitzt in der Redaktion für die Stadt Seattle, erforscht, was in der Stadt los ist, und schreibt wöchentlich eine Stadtkolumne. „Wir haben jetzt einen Einkaufsführer, der nach Stadtteilen organisiert ist. Man trägt seine Postleitzahl ein und kann die Läden und Werkstätten in seiner unmittelbaren Umgebung nachschlagen.“ Am liebsten kümmert sie sich um literarische Events. Sie geht in Buchläden, und wenn die keine Lesungen veranstalten, sucht sie angehende Autoren auf und stellt den Kontakt zu den Buchläden her. „Ich habe manchem Schriftsteller zu einer Erstveröffentlichung verholfen, weil ich eine Lesung organisiert und in sidewalk. com publik gemacht habe.“
Gretchen Haldeman ist klein und blond. Sie könnte auch als eine der Schülerinnen durchgehen, die hier ihre Aufgaben machen. Sie kam frisch von der Uni, wo sie Literatur und kreatives Schreiben studiert und keine Ahnung hatte, was sie mit diesem Abschluß anfangen sollte. Sie fing als Hilfsarbeiterin bei Microsoft an, wo sie Bilder und Texte scannte – und ehe sie sich versah, gestaltete sie Webseiten. „Das ist toll, diese Offenheit und Durchlässigkeit bei Microsoft. Ich dachte, die würden nur Computerfreaks anheuern, sie scheinen aber eine Vorliebe für Leute zu haben, die sich die Kenntnisse bei der Arbeit erwerben.“ Sie ist mit vielen kreativen Leuten zusammen, die das Gefühl eint, an etwas ganz Neuem zu arbeiten.
Doch es steht nicht alles zum besten in ihrem Büro. Es wird immer deutlicher, daß es zwei Arten von Angestellten gibt: Jene, die sich was ausdenken und etwas Gutes für die Menschheit tun wollen, und jene, die immer davon reden, „die Konkurrenz zu zerquetschen“ und „größere Profite einzufahren“. Das macht sich auch in der Ästhetik der Webseiten bemerkbar. „Wir hatten eine ganz lockere und feine Schrift entwickelt, die wir jetzt gegen diese sehr klotzige Typographie von Microsoft austauschen. Erst tat Microsoft alles, um seine Corporate Identity zu verbergen, jetzt hauen sie überall ihren dicken MSN-Schriftzug rein.“
Die Differenzen im Seattler Büro von Microsoft sind nicht nur ästhetischer und ideeller Natur, sie machen sich auch draußen auf dem Campus von Microsoft bemerkbar. Sie haben materielle und rechtliche Ursachen. Die Angestellten bei Microsoft zerfallen in zwei Kategorien, die sich deutlich unterscheiden: z.B. durch ihre Firmenausweise, die entweder blau oder rosa sind, oder durch ihre E-Mail- Adressen, von denen die einen Bindestrich haben und die anderen nicht. Die mit Bindestrich werden von den anderen als „Bindestrichdreck“ bezeichnet (dash trash), denn sie sind keine richtigen Microsofties. Gretchen gehört wie etwa 30 bis 40 Prozent der im Seattler Raum bei Microsoft Arbeitenden zu den sogenannten temps oder permatemps – Leute, die zwar permanent arbeiten, aber nur auf Zeit angestellt sind. Weltweit sind es etwa 11.000, die Microsoft als Teilzeitbeschäftigte, Leiharbeiter oder selbständige Subunternehmer ihre Dienste anbieten. Nicht daß sie schlecht bezahlt werden, nur schlechter als die anderen. „Die reden von den Häusern und Autos, die sie sich kaufen, und wir beißen die Zähne zusammen“, sagt Gretchen. Der entscheidende Unterschied aber sind die Optionen auf Aktienbesitz. „Periodisch bricht unter den Festangestellten Jubel aus, weil die Microsoft-Aktie wieder ein paar Punkte gestiegen ist. Wir arbeiten hier wie in einem samtenen Sweat-shop“, resümiert Gretchen. „Microsoft hat viele brillante Leute nach Seattle und Umgebung gebracht, aber es gibt viel Burn-out und Frustration.“
Über dem Cascade-Gebirge ist die wintergraue Wolkendecke aufgerissen, die Sonne spiegelt sich im Lake Washington. Mike Blaine ist mit seinem Pick-up von der Interstate 5, die aus Seattle herausführt, auf die Bundesstraße 520 nach Osten abgebogen und fährt Richtung Redmond zum Campus von Microsoft. Er kommt aus dem Journalismus und hat bei Microsoft als Teilzeitarbeiter am Encarta-Projekt gearbeitet. Für 15 Dollar die Stunde hat er Artikel für Microsofts elektronisches Lexikon redigiert. Auf den Geschmack gekommen, verließ er die Firma und verlegte sich aufs selbständige Einrichten von Seiten im World Wide Web, fand aber nach ein paar Jahren zu Microsoft zurück. Jetzt schrieb er für 30 Dollar die Stunde technische Dokumentationen für Quellcodes. Was ihn aber wirklich interessierte, war Gewerkschaftsarbeit im High-Tech-Bereich. 30 Dollar klingt nach viel Geld, aber wenn man nachrechnet, entspricht das dem Gehalt eines Fließbandarbeiters in der Automobilindustrie der fünfziger Jahre.
„Das Verfahren, nach dem Microsoft seine Angestellten in Feste und temps teilt, ist unerfindlich“, erklärt Mike Blaine. „Nichts unterscheidet die Arbeit der beiden Gruppen. Die Temporären sitzen oft neben einem Festangestellten, arbeiten genausolange, werden aber schlechter bezahlt, haben keine Krankenversicherung, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ganze sieben Tage im Jahr Urlaub und können jederzeit ohne Begründung entlassen werden.“ Wer bei Microsoft Arbeit sucht, wird oft an eine Zeitarbeitsagentur verwiesen, die ihn einstellt und an Microsoft „ausleiht“. Die Selbständigkeit dieser Agenturen ist fiktiv“, erklärt Mike Blaine und fährt an deren Büros vorbei, die, wie das von Comforce, mitten auf dem Microsoft-Gelände stehen. Auch alltägliche Diskriminierungen machen zu schaffen. Festangestellte bekommen die schöneren Büros und können die Sportanlagen nutzen sowie im Firmenladen einkaufen. Auf den Rasenflächen und Sportanlagen, an denen Mike jetzt vorbeifährt, stehen Schilder: „Die Benutzung der Freizeiteinrichtungen ist Angestellten von Microsoft vorbehalten.“
Mike Blaine wandte sich an schon bestehende Gewerkschaften. „Hier entsteht die Industrie des 21. Jahrhunderts mit der Arbeiterschaft des 21. Jahrhunderts, und die Gewerkschaften verstehen den High-Tech-Sektor nicht und sehen sein Potential nicht.“ Zwei Ereignisse kamen ihm zu Hilfe. Der Ausschluß der Zeitangestellten vom Aktienplan war Gegenstand einer der ersten Klagen gegen Microsoft. Die Anwaltsfirma Bendich, Stobaugh & Strong aus Seattle vertrat 1989 eine Gruppe permatemps in einer Sammelklage, die bis vors oberste Bundesgericht ging. „Das 1997 ergangene Urteil bestätigte den Grundsatz, daß Rechtsverhältnisse nach ihrem materiellen Gehalt beurteilt werden müssen, ungeachtet ihrer Rechtsform“, erklärt David Stobaugh. „Microsoft hat den meisten freien Mitarbeitern gekündigt oder sie an Zeitarbeitsagenturen verwiesen und beendet nach elf Monaten die Zusammenarbeit für mindestens 30 Tage, um das Entstehen von Arbeitsverhältnissen zu verhindern.“
Microsoft ist nicht das einzige Unternehmen, in dem die temps eine solche Rolle spielen. Nirgends aber wird dieses System derart mißbraucht. Dann wandte sich die Washington Software Allianz, der Arbeitgeberverband der Softwarehersteller, an die Handelskammer des Bundesstaats Washington und wollte durchsetzen, daß ab einem Stundenlohn von 27 Dollar Überstundenzulagen gestrichen werden. Das war der Stein des Anstoßes, hier konnten Mike Blaine und sein Freund Marcus Courtney ansetzen. Sie begannen, eine Gewerkschaft für High-Tech-Arbeiter zu organisieren. Eine Gewerkschaft für Programmierer und Softwareschreiber? Das klingt wie ein Widerspruch. Mit berufsmäßigen Computerfreaks verbindet man die Vorstellung von 35jährigen Millionären, deren Garagenklitschen über Nacht zu milliardenschweren Unternehmen werden. Microsoft, Apple und Netscape sind dafür Beispiele. In der Tat sind bei Microsoft einige hundert Angestellte Millionäre geworden. Die meisten Angestellten aber stehen schlecht da. „Erst dachten alle, wir spinnen, als wir mit der Idee einer Gewerkschaft für Programmierer auf die Handelskammer Seattle zugingen und um Hilfe bei der Einrichtung einer Präsenz im World Wide Web baten“, erinnern sich Marcus und Mike. „Man riet uns, mit dem Organisieren anzufangen, um zu sehen, ob wir überhaupt Unterstützung bekommen.“
Sie gründeten also WashTech, was für „Washington Allianz of Technology Workers“ steht. Dann suchten Mike Blain und Marcus Courtney nach einer Dachorganisation. Schließlich konnten sie die Communication Workers of America davon überzeugen, daß sie mit der Organisierung der High-Tech- Arbeiter von heute die Gewerkschaft von morgen schaffen würden. Die beiden bekamen ein Budget, von dem sie ein Büro mieten und drei Gehälter zahlen können. Heute hat die Gewerkschaft 42 Mitglieder und richtet sich auch an die Arbeiter und Angestellten bei Boeing und Amazon.com. „Mit dem kartellrechtlichen Verfahren gegen Microsoft hat unsere Gründung nichts zu tun“, versichert Mike Blain, „aber das Verfahren schafft eine Gelegenheit für uns, weil die Aufmerksamkeit auf die Schattenseiten von Amerikas erfolgreichstem Unternehmen fokussiert ist.“ Inzwischen hat Wash Tech eine eigene Präsenz im World Wide Web (www. washtech.org) und hofft, Microsoft mit eben der Technologie zu schlagen, die die Firma entwickelt hat. Die Gewerkschafter bauen eine Datenbank der Angestellten von Microsoft auf, können potentielle Mitglieder per E-Mail anschreiben und geben einen elektronischen Rundbrief heraus.
Inzwischen ist Mike Blaine vor Gebäude Nr. 38 angekommen. Im Foyer hat er sich mit Ormand Wall (Name geändert) verabredet, zusammen gehen sie in die Kantine. „Bisher hat mir niemand den Zutritt verwehrt, obwohl ich ein-, zweimal die Woche komme, um mit Microsoft-Angestellten zu reden.“ Deren Geschichten gleichen alle der von Gretchen Haldeman und reichen von der Begeisterung für ihre Arbeit bis zur Verbitterung über ihre Behandlung. Microsoft scheint sich mit der Herausforderung durch gewerkschaftliche Organisierung auseinanderzusetzen. Erstmals wurde die Stelle eines Personalmanagers für den Streikfall ausgeschrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen