„Wir nehmen alle, die uns wählen“

CDU-Chef Wolfgang Schäuble hat keine Angst davor, daß seine Partei den Kurs der Mitte verläßt. Der Bundesvorstand der CDU beschließt die geplante Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft  ■ Aus Königswinter Bettina Gaus

Fast zwei Seiten umfaßt der Beschluß des CDU-Bundesvorstands zur Ausländerpolitik. Wer darin nach dem Thema sucht, das seit Tagen die Gemüter erregt, muß gründlich lesen. Im Ende des vorletzten Absatzes ist die Nachricht versteckt worden: „Die Sammlung von Unterschriften für unser Anliegen und gegen die Pläne von Rotgrün“ werde zu den vielfältigen Aktionen der nächsten Zeit gehören. Trotz aller Kritik hält also die CDU an der Unterschriftenkampagne der Union gegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft fest. Das haben am Wochenende die Spitzengremien der Partei auf ihrer Klausurtagung in Königswinter beschlossen.

Auf den ersten Blick sieht es damit so aus, als habe sich nach dem Stabwechsel von Helmut Kohl zu Wolfgang Schäuble wenig geändert. Der Parteichef beschließt, die Gremien nicken ab. Dieser Eindruck trügt. Kohl hat bei strittigen Entscheidungen interne Kritiker in Grund und Boden geredet und Widerstrebende mit ungezählten Telefonaten genervt. Sein Nachfolger hat in den letzten Wochen kaum telefoniert und mit fast niemandem geredet, dem Vernehmen nach nicht mal mit seiner Generalsekretärin Angela Merkel. Die meisten Vorstandsmitglieder erfuhren von der geplanten Unterschriftenaktion aus den Medien. So hatten sich viele die neue Diskussionskultur und den erwarteten größeren Einfluß der Gremien nicht vorgestellt.

„Es will doch niemand Krach“, sagte ein Mitglied des CDU-Vorstands am Rande der Klausurtagung ratlos. Ganz im Gegenteil. Von großen Hoffnungen war der Neuanfang unter Wolfgang Schäuble begleitet, einen überzeugenden Start in die Oppositionsarbeit und in die nächsten Wahlkämpfe hatte die CDU jetzt erwartet. Statt dessen bietet die Partei nun ein zerrissenes Bild: Sie plant eine Aktion, die allenfalls dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber nutzen dürfte, erhält für diese Ankündigung Beifall von Rechtsradikalen und hat einen Parteichef, der jetzt selbst der Unterstützung bedarf, statt Ermutigung geben zu können.

Einig waren sich die meisten Teilnehmer der Tagung in Königswinter darin, daß ein Rückzug auf der ganzen Linie nicht in Frage käme. Dazu sei es zu spät, der würde Schäuble nachhaltig schaden, hieß es. Nun müsse halt ein möglichst „integrativer“ Beschluß gefaßt werden, der keinesfalls als ausländerfeindlich interpretiert werden könne.

Nach der Diskussion der letzten Tage bedeutete das die Quadratur des Kreises. „Mehr und konsequente Integration der hier lebenden Ausländer in unsere Gesellschaft“ bezeichnet die CDU jetzt als ein zentrales Anliegen. „Ziel unserer Bemühungen ist die dauerhafte Einbeziehung der in unserem Land lebenden ausländischen Mitbürger in unsere Gesellschaft.“ Betont zurückhaltend ist formuliert, worum es bei der Auseinandersetzung wirklich geht: „Die generelle doppelte Staatsbürgerschaft birgt die Gefahr, daß man versucht, dauerhaft in zwei Welten leben zu können und zu wollen. Das ist aber keine wirkliche Integration.“ Und: „Ohne eine strikte Begrenzung weiteren Zuzugs werden alle Integrationsbemühungen letztlich scheitern.“

„Ich denke, das ist eine hinreichend klare Abgrenzung von Trittbrettfahrern“, sagte Roland Koch, CDU-Spitzenkandidat bei der hessischen Landtagswahl. Abwarten. Zunächst einmal ist es eine Abgrenzung von den markigen Worten, die aus der bayerischen Schwesterpartei zu hören waren. Skeptiker in den Reihen der CDU bezweifeln, daß die CSU bereit sein wird, die Linie der Schwesterpartei mitzutragen. Um einen gemeinsamen Formulierungsentwurf soll sich jetzt eine Arbeitsgemeinschaft unter Federführung des stellvertretenden Fraktionschefs Jürgen Rüttgers bemühen. Wolfgang Schäuble erwartet, daß der Textvorschlag nächste Woche vorliegt. Das Vorgehen habe er am Wochenende mit Edmund Stoiber abgesprochen, teilte der CDU- Vorsitzende in Königswinter mit.

Mit dem bayerischen Ministerpräsidenten telefoniert Schäuble also auch weiterhin, obwohl der ihn offenbar über den Tisch gezogen hat. Verabredet haben sollen die beiden die Unterschriftensammlung bereits vor Weihnachten – nicht aber die von Stoiber angestoßene öffentliche Diskussion. Rückt die CDU denn nun nach rechts? „Wir nehmen alle, die uns wählen, aber alle, die uns wählen, wählen eine Partei der Mitte,“ erklärt Schäuble. Manchen reicht das nicht. Aus Angst vor „Mißverständnissen“ haben Rita Süssmuth, Heiner Geißler und Rita Pawelski im CDU-Vorstand gegen den Beschluß zur Ausländerpolitik gestimmt.

Die CDU-Spitze hat eine schwierige Klausurtagung hinter sich, und bereits der Auftakt war nicht dazu angetan, die Stimmung zu heben. Da analysierten mehrere Demoskopen die Wahlniederlage und die Chancen für eine baldige Trendwende, unter den Experten auch ein Vertreter der von Altkanzler Kohl ungeliebten Forschungsruppe Wahlen. Die Pille war bitter. Nicht nur Vermittlungsprobleme waren für den Machtverlust verantwortlich – die Union verfügt derzeit nicht über die strukturelle Mehrheit in der Bundesrepublik. Und kurzfristig wird sich daran nach Einschätzung der Experten auch wenig ändern. Kommentar Seite 12