: Liebe in den Zeiten des Beziehungsterrors
■ Mit Patrick Marbers Tragikkomödie „Hautnah“ feierte das Bremer Theater eine bemerkenswerte Premiere
Moderne Liebesgeschichten beginnen so: Eine Frau wird von einem Taxi angefahren. Der Fahrgast bringt die Frau ins Hospital – die Romanze beginnt – wo sie von einem Hautarzt versorgt wird – der spätere Seitensprung ist damit schon angelegt. Wenn moderne Liebesgeschichten enden (und das Ende scheint heutzutage viel interessanter zu sein als die Zeit davor), geschieht das mit Sätzen wie „Jetzt verpiß Dich und verreck, Du verkorkste Hure“. Eine Aussage, mit der man in die Pause entlassen wird, um dort bei einem Glas Orangensaft darüber zu sinnieren, ob die Sache mit der Liebe wirklich so verdammt schwer ist, wie es diese Worte Larrys vermuten lassen.
Wer da mit wem geschlafen hatte blieb dank der geringen Anzahl an SchauspielerInnen einigermaßen überschaubar in Patrick Marbers Stück „Hautnah“, das im Bremer Theater Premiere hatte. Vier Menschen im Alter zwischen Mitte Zwanzig und Anfang Vierzig – neben dem Dermatologen Harry (Volker Mosebach) und der Fotografin Anna (Henriette Cejpek) komplettierten die Stripperin Alice (Katrin Heller) und der Journalist Dan (Christoph Finger) das leidenschaftliche Quartett – praktizierten über den Zeitraum von knapp fünf Jahren alle denkbaren heterosexuellen Beziehungsmuster. Alice und Dan, Dan und Anna, Larry und Alice, Anna und Larry, und das Ganze auch wieder von vorn ... Man ahnt schon früh: Trotz dieser permanenten Versuche will sich partout nicht das einstellen, worum sich die Figuren in Marbers Stück beinahe drei Stunden lang aufs heftigste bemühen – die reine, wahre, endlos währende Liebe.
Nehmen wir Larry. Er liebt Anna, heiratet sie sogar und bringt ihr teure Geschenke aus New York mit. Aber daß er während dieser Reise „wen gefickt“ hat und während des Geständnisses von seiner Frau erfährt, daß diese seit einem Jahr eine Affäre mit Dan hat, fördert weder bei Larry noch bei Anna das Vertrauen in die Sinnhaftigkeit fester zwischenmenschlicher Kontakte.
Natürlich liebt die vorwiegend vom schlechten Gewissen geplagte Anna auch Larry, irgendwie. Der Mann ist schließlich solide, ein wenig langweilig, ein bißchen gewöhnlich und alles in allem eben ein Mann von der Sorte, die eher nach Fußschweiß als nach Abenteuer riecht. Aber es kommt so, wie es in solchen Fällen meistens kommt. Die wahre Liebe und den ekstatischen Sex erhofft man und frau sich dann doch woanders. Bis zur nächsten Begegnung.
Überhaupt dreht sich in Siegfried Bührs gelungener Inszenierung viel ums „Ficken“, der mit Abstand am häufigsten benutzten Vokabel des Abends. Genau genommen handeln die Gespräche sogar selten von etwas anderem. Bis an die Schmerzgrenze und zuweilen weit darüber hinaus verwickeln sich die ProtagonistInnen permanent in Geständnisdiskurse. Mit wem hast Du's wie getrieben? Hat es Spaß gemacht? War er besser als ich? – all die Fragen, die im Raum stehen zwischen Menschen, die im Begriff sind, sich zu trennen und ihr Leid durch die rücksichtslose Suche nach „der Wahrheit“ ins Maßlose treiben. Allein sie finden sie ebensowenig wie das reine wärmende Gefühl zuvor. Marbers Blick auf die Chance gelingender Kommunikation und harmonischer Zweisamkeit bleibt bis zuletzt skeptisch. Sowas, sagt uns der 34jährige Autor, gibt es nicht für seine Generation. Und da die Londoner „Hautnah“ zum Erfolgsstück haben werden lassen, liegt der Verdacht nahe, daß Marber mit seiner Meinung am Ende des Jahrhunderts nicht allein dasteht.
In der Tat spielen sich auf der Bühne erschreckend vertraute Verhaltensmuster ab, die vor Starrsinn, verletztem Stolz und uneingestandener Gefühle strotzen. Dank des kargen Bühnenbildes von Colin Walker – nackte weiße Wände und einige wenige Gegenstände – konzentriert sich die Aufmerksamkeit des Betrachters ausschließlich auf die Dialoge, in denen sich die vier Handelnden fortwährend mit kurzatmigen Sätzen voller Pointen und virtuos formulierten Gemeinheiten beschießen. Eine Chronik des Scheiterns, die jedoch nicht fad wirkt, weil die SchauspielerInnen das Format haben, dieses Kammerspiel des Beziehungsterrors vor der Gefahr zu bewahren, zu einer platten Farce zu werden. Denn nirgends ist die Gefahr so groß wie bei dem Thema „Liebe“, ein Stück zu schreiben, das sich im Effekt als ewige Wiederkehr des öden Immergleichen entpuppt. Wie schön, daß Patrick Marbers „Hautnah“ dieser Gefahr in den meisten Fällen zu entgehen vermag. Nicht, daß einem das, was im Schauspielhaus zu sehen war, zuvor völlig unbekannt war. Doch mit so viel Sarkasmus und schonungsloser Düsterkeit bekommt man die Abgründe der Liebe nur selten zu sehen. Zumindest auf der Bühne. Franco Zotta
Nächsten Termine: 16. und 17.1. um 20 Uhr im Schauspielhaus
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