piwik no script img

Astreine Zeitreise mit Nasenchor

■ Sie nennen sich Oberkreuzberger Nasenflötenorchester, blasen auf Plastikrohren Hits und schnaufen sich dabei fast um Kopf und Kragen

Der Grindchor ist ein „regressiver Männerbund“ (Presseinformation) aus zehn allesamt recht stattlichen und nicht mehr wirklich jungen Männern, die sich seit 1991 regelmäßig treffen und auf ihren Nasenflöten musizieren. Nasenflöten sind kurze, bunte, gebogene Plastikrohre, mit denen man, wie der Name sagt, durch die Nase ausatmend, Pfeiftöne erzeugen und diese mit dem Mund modulieren kann. Wer's nicht kennt, muß es sich anschauen, denn es klingt wie asthmatische Kanarienvögel oder kleine Kinder, die unbedingt Pfeifen lernen wollen. Und es sieht prima aus, denn die albernen Männer tragen bei ihren Konzerten zeitweise T-Shirts, auf denen „Mir stinkt's!“ steht, und stellen sich in Lead-Nasenflöte und Background-Nasenflöten-Formationen auf, um zum Beispiel „We will rock you“ von Queen oder „Je t'aime“ von Serge Gainsbourg zu interpretieren. Manchmal orgeln Leute wie Brezel Göring bei Live-Konzerten mit, manchmal wird Alex Hacke dazugebeten, und manchmal schafft es der ehemalig „rechte Nasenflügel der KPD/RZ“ bei seriösen Gelegenheiten ins Vorprogramm zu kommen, wahrscheinlich hat dann am Abend vorher eines der Mitglieder den Veranstalter unter den Tisch getrunken. Man kann danach laut Presseinfo in der Bild-Zeitung lesen, daß es sich um „eine Gruppe geschmackloser flötender Männer“ handelt. Wenn man jemanden Doofes ärgern oder jemanden Nettes erfreuen möchte, dann spielt man ihm die brandneue und erste 10-Inch „Kuschelrotz“ der geschmacklosen Flötisten auf den Anrufbeantworter, und er muß raten, welche Stücke hier nachgepustet werden. Der regressive Männerbund nimmt leider, leider keine Frauen auf, vielleicht um zu vermeiden, daß die dann blöde Sprüche wie „An der Nasenflöte des Mannes...“ reißen und es am nötigen Ernst fehlen lassen. Wert legt der Grindchor auf die Tatsache, daß er ein „Oberkreuzberger“ Nasenflöten-Orchester ist. Vielleicht hofft man mit dieser Information ja auf eine „Unterkreuzberger Kazoo-Kombo“ als Gegenbewegung. Weil Männer immer streiten müssen, ließ sich beim heute Abend stattfindenden Live-Konzert nicht eindeutig klären, ob der Männerbund oder das „Audo-Quartett“, das wahrscheinlich eher ein Duo sein wird, der Topact bzw. die Vorband sein darf. Natürlich sind auch zweierlei Plakate im Umlauf, auf jedem wird das Gegenteil behauptet. Das „Audo-Quartett“ wird verschiedene Instrumente, eventuell auch Spielsachen dabeihaben, und damit sehr, sehr freien Free Jazz bzw. einfach etwas anderes, sehr Freies machen. Die Nasenflöten werden wie immer eine astreine Zeitreise durch den Pophimmel machen und sich um Kopf und Kragen schnaufen. Jenni Zylka

„Grindchor – Das Original Oberkreuzberger Nasenflöten-Orcheester“ und das „Audo-Quartett“. Heute nicht vor 21 Uhr im Kato am Schlesischen Tor in Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen