: Moderne für alle
■ Die "ZDF-Hitparade", die vor 30 Jahren begann, sah bewußt modern aus und brachte doch die Zuschauerfamilie zusammen
Beim ersten Mal tat's richtig weh: „Hier ist Berlin. Guten Abend und herzlich willkommen zur ersten Ausgabe der ,Hitparade‘ aus dem Studio 1 der Berliner Unionfilm“, schallte es am 18. Januar 1969 gegen 18.50 Uhr aus dem Fernseher. Der junge Hörfunkmoderator Dieter Thomas Heck präsentierte „Die Hitparade im ZDF“ und feuerte zur Begrüßung einen Hochgeschwindigkeits-Rap ab, der der Republik in den Ohren hallte. „Thomas schrie, als müßten ihn die Millionen Zuschauer in ganz Deutschland auch ohne Mikrofon (...) verstehen“, ereiferte sich Bild. Andere Blätter stimmten ein – und bescherten der neuen Show hohe Aufmerksamkeit.
Heck hatte zuvor im Hörfunk des Saarländischen Rundfunks „Die deutsche Schlagerparade“ erfolgreich etabliert und das Sendekonzept gemeinsam mit Regisseur Truck Branss fernsehgerecht aufbereitet. Aus jeweils zehn deutschsprachigen Interpreten kürten die Zuschauer, anfangs noch per Postkarte, ihre Favoriten, die in der Folgesendung erneut mit von der Partie waren. Schon nach der ersten Ausgabe trafen 50.000 Wahlkarten ein – weit mehr, als die Redaktion erwartet hatte.
Der Erfolg blieb konstant. Mit ihren Zuschauerzahlen stach die „Hitparade“ den progressiven, indes zeitlich schlechter plazierten „Beat-Club“ ebenso aus wie die im Wechsel ausgestrahlte „Disco“. Als die 30jährige Geschichte der „Hitparade“ begann, war internationale Popmusik hierzulande rar. Noch 1972 klagte Eckhart Schmidt in der Zeitschrift Medium: „Platten, die im Ausland längst Furore gemacht haben, sind bei uns noch lange nicht zu haben. Songs, die der AFN [der US-Armeesender; Anm. d. Red.] bereits tagtäglich abspielt, sind bei den deutschen Funkhäusern erst Wochen oder gar Monate später aktuell.“
In dieser Zeit des Mangels brachte die „Hitparade im ZDF“ zumindest optisch Modernität ins Angebot. Die gelind futuristische Szenerie im legendären Studio 1 hob sich deutlich ab von herkömmlichen Fernsehinszenierungen. Eine bestaunte Novität war das ausladende Pult des Toningenieurs, das nicht in den Eingeweiden des Ateliers versteckt, sondern als Bezugspunkt im Zentrum des Geschehens plaziert worden war.
Die neue Form äußerte sich augenfällig in der Abschaffung der althergebrachten Guckkastenbühne. Ersetzt wurde sie durch eine Art Laufsteg zwischen den ansteigenden Rängen, am Ende mit kleinen Treppchen versehen, über die begeisterte Fans hinaufstürmen und ihren Idolen Blumensträuße überreichen konnten. Die damit einhergehende Enthierarchisierung der Darbietung wurde beim finalen Schnelldurchlauf noch einmal besonders deutlich, wenn die Stars mitten zwischen den Saalzuschauern zu finden waren. Zumindest dem Anschein nach bot die „Hitparade“ Dynamik, Transparenz und Stars zum Anfassen.
War in der Premierensendung mit Gerhard Wendland noch ein Vertreter der Vätergeneration unter den Nominierten, so beherrschten bald die „Twens“ das Bild. Und gar so erdig deutsch gab sich der Schlager in jenen Tagen nicht: Michael Holms „Mendocino“ stammte ursprünglich von der Texas-Rockband Sir Douglas Quintett, Randolph Rose sang mit „Silvermoon Baby“ eine Komposition des Ex- Monkees Michael Nesmith, und Juliane Werdings Gassenhauer „Am Tag, als Conny Kramer starb“ war die deutsche Version von „The Night They Drove Old Dixie Down“ von The Band. Solche Klänge taugten immerhin notdürftig als Ersatz für diejenigen, die eigentlich lieber die Originalinterpreten gesehen hätten. Das machte den Erfolg aus: Der Vater, der bei jedem englischen Text sofort „Abschalten!“ brüllte, fand sich ebenso vor dem Fernseher ein wie die Heranwachsenden, die flotte Unterhaltung und modische Orientierung suchten und gelegentlich sogar akzeptable Musik geboten bekamen.
Als mit der Neuen Deutschen Welle einheimische Popmusik tatsächlich angesagt und auch in anderen Sendungen anzutreffen war, verlor die „Hitparade“ an Bedeutung. Unter Hecks Nachfolger Viktor Worms wurden zeitweilig englischsprachige Produktionen aus deutschen Studios zugelassen. Seit Uwe Hübners Amtsübernahme im Jahr 1990 ist die deutsche Sprache wieder obligat, das musikalische Spektrum dennoch breit, wie die heutige Jubiläumssendung mit den Hits des Jahres 98 (um 19.25 Uhr im ZDF) belegt. Die „Hitparade“ wendet sich ebenso an die Patrick-Lindner- Fans wie an die Gefolgsleute von Guildo Horn. Damit ist die Sendereihe, wie vor 30 Jahren, wieder am Puls der Zeit. Harald Keller
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