: Blairs Flucht nach vorn: New New Labour
Der britische Premierminister Tony Blair will keinen Streit mehr bei Labour. „Hart und autoritär“ will er ab jetzt sein ■ Von Ralf Sotscheck
Edinburgh (taz) – New Labour ist vorbei und begraben, statt dessen soll es nun eine erneuerte New Labour Party geben. Der britische Premierminister Tony Blair hat die Rückbesinnung der Partei und der Regierung auf ihre Grundwerte eingeläutet: Er will 300 Millionen Pfund für Maßnahmen gegen Kleinkriminalität und Mißbrauch der Arbeitslosenhilfe bereitstellen – der Beginn einer „harten und autoritären“ Welle, nach seinen eigenen Worten. Sozialstaatssekretär Alastair Darling wird heute offiziell bekanntgeben, daß jeder Empfänger staatlicher Unterstützung einen „persönlichen Berater“ zur Seite gestellt bekommt, der ihm bei der Jobsuche hilft.
Blairs Erneuerungsgerede ist ein verzweifeltes Bemühen, nach den Rücktritten dreier hochrangiger Regierungsmitglieder die Aufmerksamkeit von New Labours internen Fehden abzulenken. Viel Substanz steckt nicht dahinter. Der Bildungssektor und vor allem das Gesundheitswesen stecken in einer tiefen Krise. Die seit dem Labour-Amtsantritt vor 20 Monaten gebrauchte Erklärung, die Tories hätten Schuld an der Misere, stimmt nur zum Teil: Zwar haben die Konservativen zwischen 1992 und 1994 die Ausbildungsplätze für Krankenschwestern um mehr als ein Viertel gekürzt, doch ab 1995 stieg die Zahl wieder. Es war die Labour-Regierung, die die geplanten weiteren Erhöhungen 1997 stoppte. Dabei müssen Patienten in britischen Krankenhäusern nicht selten acht Stunden warten, bis sie versorgt werden.
Labour war bisher eine Enttäuschung, gemessen an den eigenen Versprechen, und daran muß man sie ja messen: Mehr Informationsfreiheit, eine integrierte Verkehrspolitik, ein Verbot der Treibjagd und des Tabak-Sponsorings, besserer Zugang zu öffentlichen Wegen auf Privatland – all das liegt auf Eis. Es war Blair, der die politischen Grundwerte seiner Partei, die er jetzt beschwört, immer mehr verwässert hat, selbst gegen den Widerstand seines Kabinetts.
Die Enthüllungen der Ex-Frau des Außenministers Robin Cook über private Verfehlungen ihres Ex-Mannes Anfang der Woche kamen da zu einer denkbar schlechten Zeit, überschatteten sie doch Blairs Initiative zur Erneuerung. Daß die geschiedene Margaret Cook den Außenminister als ständig betrunkenen, verlogenen und serienmäßigen Ehebrecher bezeichnet, ist für ihn peinlich. Aber daß sie ausplaudert, Cook möge den Premierminister nicht, weil der „seine Seele dem Teufel verkauft“ und die Partei immer weiter nach rechts geschoben habe, um die Wahlen zu gewinnen, ist für die von Blair gewünschte Kabinettseinheit nicht förderlich. Cook ist in der Partei wegen seines rüden Umgangstons unbeliebt, und erst recht in seinem eigenen Ministerium, nachdem er die Schuld an britischen Waffenlieferungen an Sierra Leone voriges Jahr umgehend auf seine Mitarbeiter abwälzte.
Blair hat nun angekündigt, sein Kabinett heute zur Ordnung zu rufen und Grabenkämpfe ab sofort zu unterbinden. Weil er aber seinen Leuten nicht so recht vertraut, hat er außerdem versprochen, in diesem Jahr weniger zu reisen und sich mehr um die Innenpolitik zu kümmern. 1999 sei das Jahr, so verkündete er, in dem Labour seine Versprechen einlösen werde.
Das ist höchste Zeit. Umfragen ergeben, daß die Labour Party in den vergangenen vier Wochen in der Gunst der Wähler um sieben Punkte auf 48 Prozent gesunken ist – das erste Mal seit den Wahlen liegt sie nun unter 50 Prozent.
Doch ist Blair überhaupt bereit, den Kurs seiner Regierung zu ändern? Er hat von Anfang an mehr Wert auf die Präsentation als auf den Inhalt gelegt. Der New-Labour-Ideologe und Industrie- und Handelsminister Peter Mandelson, Blairs wichtigster „Spin Doctor“, der jede Nachricht so lange massierte und zurechtbog, bis sie der Regierung genehm war, ist zwar zurückgetreten, und später folgte Finanzminister Gordon Browns ähnlich gestrickter Pressesprecher Charlie Wheelan. Aber Blairs Pressesprecher Alastair Campbell kommt aus dem gleichen Stall. Weg vom „Spin“, hin zur Substanz – ist das nicht auch nur wieder ein neuer „Spin“?
Schon haben Campbell und Blair eine Strategie ausgeheckt, wonach die Rücktritte ein „Ereignis“ seien, das jeder Regierung mal passieren könne – traurig für die einzelnen, aber unwichtig für das „große Ganze“. Zu der Strategie gehört auch eine Lobeshymne auf Finanzminister Brown, dessen Sekretär Wheelan weithin und wahrscheinlich zu Unrecht für Mandelsons Sturz verantwortlich gemacht wurde und seinen Hut nehmen mußte. Trotz des Olivenzweiges weiß jeder in Westminster, daß die Labour Party in „Blairisten“ und „Brownisten“ gespalten ist.
Blairs Stellvertreter John Prescott ist – auch das ist ein offenes Geheimnis – über viele strategische Entscheidungen von Blair ebenfalls unglücklich. Und am Wochenende hat sich die von mächtigen Gewerkschaften finanzierte Gruppe „Labour First“ gegründet, deren Mitglieder dem konservativen Parteiflügel angehörten. Sie sind gegen eine Labour-Zusammenarbeit mit den Liberaldemokraten, gegen die Einführung des Verhältniswahlrechts und gegen das Ende der Verbindung zwischen Partei und Gewerkschaften. Wer für diese drei Punkte sei, habe in der Labour Party nichts zu suchen, sagte Ken Jackson, Generalsekretär der viertgrößten britischen Gewerkschaft (AEU).
Und dann ist da noch der linke Flügel, der wieder etwas Auftrieb hat und dem die „harsche und autoritäre“ Blair-Linie ganz und gar nicht paßt. Ken Livingstone, der „rote Ken“, der in den 80er Jahren Bürgermeister von London war, bevor Margaret Thatcher den Stadtrat wegen seiner Linkstendenzen auflöste, hat verkündet, er werde auf alle Fälle für dieses Amt kandidieren, wenn es demnächst wieder eingeführt wird – ob die Partei ihn aufstellt oder nicht. Aber in Anbetracht der bevorstehenden Kommunal- und Europa- Wahlen sowie den Wahlen für die Regionalparlamente in Schottland und Wales erscheint es Blair am sichersten, den linken Parteiflügel zu verprellen. Der ist es ja gewohnt.
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