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Feuchte Träume von feschen Stars

■ „Groupie“, eine „Sechziger Jahre Seifen Rock Oper“ von M. Pundt wurde bei der Premiere im Jungen Theater groupieig bejubelt

Er müßte eigentlich zu den gerade hochoffiziell ausgewählten hundert Schlüsselwörtern des Jahrhunderts gehören: Bei dem Begriff „Groupie“ rasseln die Assoziationen nur so durchs Gehirn, und all die Klischees – das Mädchengekreische, die feuchten Träume und die sich gnädig zum Koitus herablassenden Rockstars – zeigt uns der Autor und Regisseur Michael Pundt auch in seiner Musiktheater-Collage, die er nicht umsonst eine „Seifen Rock Oper“ nennt.

Angst vor drastischen Details und Trivialitäten hat Pundt ganz sicher nicht, und die wäre bei diesem Thema auch eindeutig fehl am Platze. So wird das in der Szene in den 60ern höchstwichtige Schlüsselwort „Filzläuse“ nicht nur verbal thematisiert, und einer der Groupiedarstellerinnen tropft eine weiß-schleimige Flüssigkeit aus dem Mund, die wohl keine Dickmilch sein soll. Acht Jahre lang hat Pundt dem kulturellen Phänomen der Groupies in den 60ern hinterherrecherchiert, und dann aus all dem Tratsch, den Mythen und Anekdoten seine Show zusamengebastelt, die er eine „historische Satire“ nennt.

Bei der Premiere am Mittwoch abend hatte er nicht nur die Lacher auf seiner Seite. Pundt hat die etwa 50 Szenen des Stücks, die zum Teil nur wenige Sekunden lang dauerten, mit einem sehr guten Gefühl für das timing der gags inszeniert. Gleich von der ersten Szene an, in der die beiden Hauptgroupies Katie (Judica Albrecht) und Florence (Julia Schöb) im Bett als keusche Fans den Starschnitt ihres Idols anhimmeln, sind die Dialoge mit Pointen gespickt. Daß schließlich aber die angeklebten Koteletten eines der (nicht nur geschauspielerten) Rockmusiker einen größeren Lacher ernten als die schönste Dialogstelle, muß Pundt nicht verdrießen, denn „Groupie“ ist auch als eine Ausstattungsorgie konzipiert, mit Requisiten wie Gammlertracht, Rüschenhemd und Kofferradio, die sich das Junge Theater bis kurz vor der Premiere händeringend zusammenschnorren mußte.

Es hat sich gelohnt. Die Anzugjacken der Bandmitglieder a la Sergeant Pepper, die Miniröcke oder die Sitar in der pseudoindischen Phase bewirken jeweils den erwünschten Wiedererkennungseffekt (man ist zugleich gerührt und belustigt). Dieser Theatertrick mag simpel sein, ist dafür aber umso wirkungvoller. Auch die gespielte Musik erkennt man gleich wieder – und dies, obwohl sie von Alexander Seeman und Stefan Walkau für diese Show neu komponiert wurde. Die Songs sind den Musikstilen aus den Jahren 1965 bis 69 von „Mercy Beat“ bis „Psychedelic“ nachempfunden, aber nicht nur abgekupfert. Und ein paar davon sind richtig schöne Ohrwürmer geworden.

Auf der einen Seite das Bett, auf der anderen die Band – so ist die Bühne konsequent geteilt, und so hat Pundt auch sein Stück in Gegeneinstellungen angelegt. Immer abwechselnd sehen wir auf der einen Seite, wie sich die Groupies Katie und Florence von naiven Fans zu upgefuckten (das Wortgetüm muß hier erlaubt sein) Starfuckern entwickeln, und wie gegenüber Jungs der Band „Mary and the Black Boys“ von netten Beatmusikern zu typischen Rockklischees werden: entweder zynisch oder ewig bekifft.

Die vier Darsteller Tim Fischer II (der Arme!), Claus Franke, Hans-Martin Utz und Alexander Seeman (auch Komponist) spielen die Musik sehr authentisch und packend live auf der Bühne. Die Sängerin Mary ist so etwas wie der kreative Gegenentwurf zu den Groupies. Sie macht selber Musik. Martina Flügge überzeugt in dieser Rolle mit ihrem Gesang, der frapierend an den von Marianne Faithful erinnert. Nicht, daß ihr dies viel genützt hätte – am Schluß geht es ihr genauso dreckig wie den anderen Mädchen. In den letzten 15 Minuten irritiert die fatalistische „rise and fall“-Dramaturgie etwas. Alles endet duster in einem depressiven psychedelischen Song, der vielleicht musikalisch der gelungenste des ganzen Stücks ist, aber dramaturgisch beim großen Finale deplaziert wirkt. Da hat Pundt wohl eine der Regeln des Musiktheaters ignoriert (nur wer sie wirklich beherrscht, kann sie ungestraft verletzen!), aber davon abgesehen ist dem Jungen Theater mit „Groupie“ ein hausgemachter großer Wurf gelungen. Einige ZuschauerInnen gebärdeten sich denn auch bei der Premiere so hemmungslos begeistert wie Groupies.

Wilfried Hippen

Bis 31. 1., jeweils von Mittwoch bis Sonntag ab 20 Uhr

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