piwik no script img

Messer und Gabel sind die besseren Mimen

■ Erlebnistheater versus Kabinettstückchen – zweimal ungewöhnliches Theater

Kleinbürgerhochzeit

Der Anlaß war freudig, die Tafeln liebevoll gedeckt, die Hochzeitsgesellschaft vollzählig. Maria und Jakob haben den Bund für das Leben geschlossen. Ein Grund zum Feiern. Schade bloß, daß die Gäste sich zunehmend danebenbenehmen.

Eine Farce schrieb Bertolt Brecht Mitte der Zwanziger, und zu einer Farce ist die Aufführung der Kleinbürgerhochzeit leider auch geworden, die am Mittwoch Premiere im italienischen Restaurant Gino Carone hatte. Doch anders als bei Brecht trugen die Gäste wenig zur Blamage bei.

Die Idee der Inszenierung – Schlagwort: Erlebnistheater – ist originell: Das Publikum nimmt an einem „richtigen“ Hochzeitsschmaus teil, ißt und trinkt, während in seiner Mitte der Einakter gespielt wird. Gleich zu Beginn empfangen der betagte Brautvater (Werner Harms) und die Schwester der Braut (Anke Schultz) die Gäste. Dann weist das Paar (Katharina Butting/Thorsten Brand) die Plätze zu, stößt mit jedem an. Kurz darauf tafeln alle. Die Schauspieler tun so als ob sie ein echtes Brautpaar wären, turteln und küssen sich auf Kommando, wenn die lieben Gäste, freudig mit einem Löffel ans Glas schlagend, sie darum bitten. Das Drei-Gänge-Menü nimmt seinen Lauf – manche der Zuschauer schließen schon erste Wetten ab, ob das Stück überhaupt noch beginnt.

Vor dem Dessert ist es dann so weit. Schon beim letzten Bissen Tiramisu wird klar: gut gemeint, aber leider doch daneben. Die pfiffige Idee von Regisseur Mac Schell verpufft ungenutzt. Zu große räumliche Distanzen haben einige der Hochzeitsgäste, die unter das Publikum gemischt sind, zu laut und zu vernehmlich zu übersprechen: Marke Achtung-ich-bin-jetzt-Schauspieler. Die Braut irritiert durch affektiertes Mienenspiel, der Bräutigam bleibt ganz und gar der Junge-Mann-von-Nebenan: linkisch und nichtssagend.

Aber auch diejenigen, deren Rollen nahezu textfrei sind, wie Brautschwester oder Mutter, verlieren selten den Schultheatertouch. Das Spieltempo hinkt. Ein Gedanke zur Ehrenrettung: ein Stück, das Kleinbürger karikiert, wird von Darstellern gespielt, deren Vorstellung von dem, was kleinbürgerlich sei, ihrem Nichtbühnendasein verdächtig ähnelt. Deshalb versuchen sie, selbiges Kleinbürgertum, da sie ja auf der Bühne sind, zu spielen. Also der doppelte V-Effekt. Oder kurzum: das Essen war gut.

Noch 4.-6. und 26.-28.10., Ruhrstraße 60, 20 Uhr

Kabinett-Theater

„Grete, ich möchte Dir ein Bein absägen“, spricht der feiste Hans, nimmt die Säge zur Hand und säbelt seiner Gattin eines ihrer gazellenartigen Beine ab. Der ehemalige DDR-Autor Kurt Bartsch erdachte dieses makabere Ehedrama. Auf der Personenbühne undenkbar und im Film nur mit raffinierten Attrappen möglich, bewältigt das Puppentheater Stücke wie dieses ohne in blutige Massaker abzudriften.

Daß Marionetten, Handpuppen und Papierfiguren für absurde Schlaglichter auch anderer Autoren wie Friedericke Mayröcker, Daniil Charms oder Max Hermann-Neisse die ideale Besetzung sind, bewies am Donnerstag das österreichische KabineTTTheater. Mit seinem Programm Minidramen gastierte das Figurentheater im Literaturhaus.

Im Wechsel zeigten sie auf zwei kleinen Guckkastenbühnen literarische Kleinode. Conferencier Georg Schulz führte durch das Programm, begleitete am Akkordeon mit Kompositionen, die z.T. eigens für die Gruppe geschrieben wurden. Ein besonderer Reiz der Aufführung bestand darin, daß die literarische Vorlage so bildhaft als möglich genommen wurde. Da stürzen z.B. Daniil Charms Neugierige alte Frauen in den Tod. „Zerschellen“, wie der Text es fordert, in der Tiefe, denn sie haben Porzellantassen als Köpfe. Geraten dann noch Gabel, Messer, Löffel und Teller zu ernsthaften Charakterdarstellern, wie in Gerhard Rühms Besteckstück, dann erscheinen die exquisiten Stückchen ganz groß.

Ute Brandenburger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen