Krieg der Drachenköpfe

Nachdem Hongkong an China zurückgefallen ist und auch die Rückgabe von Macao bevorsteht, ist die chinesische Mafia in ihr Mutterland zurückgekehrt. In Südchina erlebt das organisierte Verbrechen eine systemüberschreitende Renaissance  ■ Von Sven Hansen

Für Chan Shek-chun fing das Jahr 1999 nicht gut an. Als der 48jährige Chinese, der in der portugiesischen Kolonie Macao bei Hongkong lebt, am 5. Januar von der Arbeit nach Hause kam, wartete im Treppenhaus bereits ein Killer auf ihn. Drei Schüsse überlebte er schwer verletzt. Macaos Polizei macht die Triaden – die chinesische Mafia – für den Anschlag verantwortlich. Denn Chan ist Direktor des Zentralgefängnisses von Macao, im Volksmund „Triadenhotel“ genannt. Die Anstalt beherbergt siebenhundert Mitglieder der kriminellen Geheimgesellschaften, darunter auch den mutmaßlichen Drachenkopf der 14-K-Triade, Wan Kuok-koi, bekannter unter dem Namen „Abgebrochener Zahn“. Der Mafiapate wurde am vergangenen 1. Mai nach dem Bombenanschlag auf das Auto von Macaos oberstem Mafiajäger, Antonio Marques Baptista, verhaftet.

Der Anschlag auf den Gefängnisdirektor ist bereits der vierte versuchte Auftragsmord 1999 in Macao und der sechste Anschlag auf Justizbeamte in jüngster Zeit. Seit über zwei Jahren liefern sich die Triaden blutige Machtkämpfe in der portugiesischen Kolonie, die am 20. Dezember mit ihren 450.000 fast ausschließlich chinesischen Einwohnern wie 1997 Hongkong (“ein Land – zwei Systeme“) an China zurückgegeben wird. Das einst verschlafene Macao ist für das organisierte Verbrechen so interessant, weil die Stadt vom Glücksspiel lebt, das sonst in China mit Ausnahme der Pferderennen in Hongkong verboten ist. Macaos neun Spielcasinos erwirtschaften über die Hälfte der Einnahmen der Enklave.

Als Auslöser der Gewalt gelten Kämpfe zwischen den Triaden um die VIP-Räume in den Casinos. Diese Orte mit einem weit höheren Mindesteinsatz wurden an die Triaden „untervermietet“. Sie bieten zahlungskräftigen Spielern nicht nur alles von Spielchips bis zu Prostituierten, sondern auch Wucherkredite auf Stundenbasis, um das Weiterspielen zu ermöglichen, wenn das eigene Geld verspielt wurde. Auch die Möglichkeit der Geldwäsche macht die VIP-Räume für die Triaden attraktiv. Denn laut Mafiajäger Baptista sind die Triaden in Macao auch bei Schleppergeschäften, beim Waffenschmuggel, der Zuhälterei, dem Kidnapping und allem anderen aktiv, womit Geld zu verdienen ist.

Jahrelang schienen Polizei und Triaden in Macao friedlich zu koexistieren. Doch dann eskalierten die Konflikte unter den Geheimgesellschaften. „Macaos organisiertes Verbrechen degenerierte zum desorganisierten Verbrechen“, schrieb die Far Eastern Economic Review aus dem benachbarten Hongkong. Macaos Triaden hatten sich im Immobiliensektor verspekuliert, gleichzeitig drang Konkurrenz aus Hongkong und China in die Kolonie. 1997 verdoppelte sich die Zahl der Morde, brutale Exekutionen auf offener Straße sorgten für Schlagzeilen und begannen Touristen abzuschrecken. Versuche der Regierung, die Bevölkerung zu beruhigen, halfen wenig. Unbescholtene Bürger bräuchten keine Angst zu haben, sagte Sicherheitsminister Manuel Soares Monge, denn: „Die Triaden sind Profis, die verfehlen niemals ihr Ziel.“

Auch von Peking ermahnt, sah sich die Kolonialregierung gezwungen, gegen die Triaden vorzugehen. Damit gerieten Polizei und Justiz ins Schußfeld. Kurz vor der Rückkehr nach Europa wollen nur noch wenige portugiesische Polizisten ihr Leben in Macao riskieren, während ihre chinesischen Kollegen wissen, daß es für sie in der kleinen Stadt kein Entrinnen gibt. Während 14 K allein in Macao laut Triadenjäger Baptista über zehntausend Mitglieder zählt, hat Macao nur 4.500 Polizei- und Justizbeamte. Um im Zentralgefängnis die Sicherheitsmaßnahmen verschärfen zu können, mußte Lissabon im Oktober eigens neun Gefängniswärter aus Portugal einfliegen, die als unkorrumpierbar galten. Am 14. Dezember wurden sie Ziel eines Anschlags. Ein Beamter starb, ein weiterer wurde schwer verletzt.

China hat inzwischen seine Truppen zwischen Macao und dem angrenzenden Zhuhai verstärkt und angekündigt, nach der Rücknahme der Kolonie dort auch Soldaten stationieren zu wollen. Dabei bekommt die Volksrepublik den schwunghaften Schmuggel über die Grenze selbst nicht unter Kontrolle – geschweige denn die Triaden.

In Hongkong gibt es heute etwa fünfzig Triaden, deren größte die Sun Yee On (Neuer ehrlicher Friede) mit dreißigtausend Mitgliedern ist. Die Triaden kontrollieren als loses Netzwerk von Banden die Filmindustrie, Karaoke-Bars und Nachtclubs, betreiben Markenpiraterie, Drogen- und Menschenschmuggel, Kreditkartenbetrug sowie Immobilien- und Investmentgeschäfte. In den letzten zwanzig Jahren der britischen Herrschaft konnten ihre Aktivitäten in Hongkong begrenzt werden. Dazu trug auch bei, daß mit Chinas Öffnung und Wirtschaftsreformen die Triaden in die Volksrepublik zurückkehrten, wo sie heute „heishehui“ (schwarze Gesellschaften) genannt werden. Sie erleben vor allem in der an Hongkong und Macao angrenzenden südlichen Provinz Guangdong eine Renaissance, doch unterhalten sie in vielen großen Städten Filialen. Sie stehlen Luxusautos in Hongkong, exportieren Heroin in alle Welt und schmuggeln Waffen von Vietnam nach China.

1989 und 1999 wurden nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung über hundert Dissidenten mit Hilfe der Triaden nach Hongkong in Sicherheit gebracht. Deng Xiaoping hatte bereits 1984 die Triaden als patriotisch bezeichnet und ihnen per Emissär ausrichten lassen, daß sie in Hongkong nicht behelligt würden, wenn sie die Kolonie vor der Rückgabe nicht destabilisierten.

Im September ließen Chinas Behörden im Sportstadium von Shenzhen dreißig Angehörige von Triaden vor zwanzigtausend Zuschauern hinrichten. Dies galt als Zeichen an die Triaden in Hongkong und Macao, daß ihre Aktivitäten in der Volksrepublik nicht geduldet würden. Doch zugleich wurde betont, daß dies eine Aktion einer eigens von Peking eingesetzten Sonderkommission sei. Offensichtlich vertraut Pekings Führung im Kampf gegen die Mafia den Kadern im Süden selbst nicht.

Angesichts der Hilflosigkeit der Portugiesen gegenüber den Triaden in Macao hoffen dort nicht wenige, daß Peking nach der Rückgabe im Dezember in der Exkolonie hart gegen die Triaden vorgeht. Doch Peking hat nicht nur auf die Todesstrafe in Macao vertraglich verzichtet, sie vermag in China selbst das Wachsen der Kriminalität nicht zu verhindern. Angesichts der Ausbreitung der Triaden in China kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich heute in Macao das im kleinen abspielt, was in China bald im großen droht.

Sven Hansen, 38, Asienexperte, arbeitet als Redakteur in der Auslandsredaktion der taz