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Wer die Macht hat, dem gehören die Diamanten

■ Im westafrikanischen Sierra Leone kämpfen aufgeklärte Städter aus Freetown gegen eine verarmte Landbevölkerung um die Kontrolle über die reichen Mineralienvorkommen

Die Zerstörung Sierra Leones ist ein Musterbeispiel dafür, was passiert, wenn Konfliktparteien sich gegenseitig nicht als Gesprächspartner anerkennen. Die Mitglieder der zivilen Regierung und der politischen Klasse in der Hauptstadt Freetown halten sich selbst für aufgeklärte Demokraten in der alten angelsächsischen Tradition und ihre Gegner für hinterwäldlerische Fanatiker, Psychopathen und willkürliche Zerstörer der Zivilisation. Die Rebellen wiederum begreifen sich selbst als arme und ausgeplünderte Bauernsöhne mit dem Recht auf Revanche und verdammen die Elite in Freetown als skrupellose und selbstsüchtige Ausbeuter, zynische Verdreher des Volkswillens und morallose Fremdkörper in der traditionellen Gesellschaft.

Angesichts des Horrors in Sierra Leone könnte man beiden Negativbeschreibungen recht geben – aber eine Friedenslösung hängt davon ab, ob die Kriegsgegner ihre positiven Selbstbilder gegenseitig respektieren. Seit Gründung der „Revolutionären Vereinigten Front“ (RUF) 1989 und dem Beginn des Bürgerkrieges 1991 haben aber politische Lösungsversuche immer darin bestanden, daß eine Seite versuchte, die andere auszutricksen. Die Regierung von Präsident Ahmed Tejan Kabbah konnte nach ihrer Wahl im März 1996 den Nimbus der demokratischen Legitimation beanspruchen und wähnte sich damit von vornherein auf einer höheren moralischen Stufe als die Rebellen. Diese atmosphärische Störung lag dem Scheitern des letzten Friedensabkommens von November 1996 zugrunde. In der nachfolgenden Serie von Putsch, Intervention, Gegenputsch und erneutem Gegenangriff haben sich alle Kriegsparteien diskreditiert.

Schon im Friedensabkommen von 1996 wurde neben der „imperativen Notwendigkeit eines gerechten und dauerhaften Friedens in Sierra Leone“ als gleichrangiges Ziel die „ebenso imperative Notwendigkeit einer echten nationalen Einheit und Versöhnung“ genannt. Viele Sierra-Leoner sind heute davon überzeugt, daß sich die Haltung des Auslands – das, geführt von den USA, Großbritannien und Nigeria, bisher allein die Regierung Kabbah unterstützt – ändern muß, um einen politischen Dialog zu fördern. „Eine einseitige Position einzunehmen, wie es bisher der Fall war, scheint nicht hilfreich gewesen zu sein“, konstatierte die Exilbewegung „Allianz für Frieden und Demokratie in Sierra Leone“ diese Woche. „Wir rufen daher die internationale Gemeinschaft dazu auf, ihre Haltung zu überdenken und eine neutrale Position einzunehmen, so daß alle Konfliktparteien das Vertrauen haben können, daß sichtbar Gerechtigkeit waltet.“

Wenn sich Sierra Leones Konfliktparteien einmal wieder auf gleicher Augenhöhe begegnen sollten, müßten sie zunächst das vertrackte Problem der Verfügung über den immensen Mineralienreichtum des Landes lösen. Die Diamantenförderung in Sierra Leone ist alt und bot der Bevölkerung der entlegenen Provinzen schon zu Kolonialzeiten eigene Einkommensquellen, unabhängig von der der Außenwelt zugewandten Hauptstadt Freetown. Von der Unabhängigkeit von Großbritannien 1962 bis zum ersten Militärputsch 1991 spielte sich Politik als Streit zwischen den auf ethnischer Basis gegründeten politischen Parteien um die Kontrolle der Diamantenausbeutung ab.

Wer die Macht hatte, konnte nicht nur Verträge mit Bergbaufirmen unterschreiben, sondern auch die Einkünfte aus dem Diamantenexport einkassieren. Kein Wunder, daß neben den mafiösen politischen Parteien schließlich auch die Armee und dann eben Rebellengruppen dabei mitspielen wollten. Jede Gruppe hat inzwischen auch ihre eigenen ausländischen Freunde, von dubiosen Zwischenhändlern bis hin zu Söldnergesellschaften. Unter diesen Umständen ist mehr als ein Waffenstillstand notwendig, um Sierra Leone vom Status einer Bühne rivalisierender Mafiabanden zu befreien.

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