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Ein Mister Armani für einfache Genossen

Wie der Selbstdarsteller und Medienprofi Dieter Dehm auf dem Parteitag die PDS erobert, im Handumdrehen stellvertretender Parteichef wird und den führenden Genossen eine herbe Niederlage bereitet  ■ Aus Berlin Jens König und Patrik Schwarz

„Ich heiße Dieter Dehm-Desoi , bin 48 Jahre alt, verheiratet, habe Sohn und Tochter.“

Die Show kann beginnen.

Dieter Dehm steht locker hinter dem Rednerpult. Er weiß, daß er gut aussieht. Er trägt ein blauweiß kariertes Hemd, einen roten Schlips und eine schwarze Lederjacke. Es ist aber nicht ganz klar, ob Dehm auch weiß, daß die meisten hier im Saal Giorgio Armani für einen italienischen Arbeiterführer halten. Aber was soll's. Dehm ist Profi. Er kann sich auf sein Publikum einstellen, ob Hautevolee oder ein Haufen schlechtgekleideter PDS-Parteitagsdelegierter.

Da fällt es kaum ins Gewicht, daß sich der gute Herr Dehm gleich zu Beginn seines Auftritts die westdeutsche Extravaganz eines deutsch-französischen Doppelnamens leistet. Normalerweise reicht dem Osten schon dieses winzige Detail als Beweis für die tiefen kulturellen Gräben, die das Land durchziehen. Aber Dehm-Desoi, der neben dem eigenen Familiennamen auch den seiner Frau führt, kommt gleich gut an.

„Liebe Genossinnen und Genossen“, beginnt Dehm seine Vorstellung, „ich bin ziemlich atypisch für die PDS.“ Schon hat er den ersten Punkt gemacht. Selbstkritik ist in der PDS noch immer der beste Weg zur Anerkennung. Dehm spricht von einer „Zumutung“ für die Delegierten, daß er sich gleich um den stellvertretenden Parteivorsitz bewirbt, obwohl er erst vor drei Monaten von der SPD zur PDS übergelaufen ist. Er nennt es „Respekt vor dem Parteitag“, daß er bereits vor Monaten seine Kandidatur angekündigt und sich seitdem unzähligen Diskussionen an der Parteibasis gestellt hat. Er will etwas bewegen in der PDS, er will, „daß nicht mehr wir die Gejagten sind, sondern daß wir die anderen mit unseren Themen treiben“. Zweiter Treffer.

Dehm weiß, wie man die Seele von müden Parteitagsdelegierten streichelt. Man muß sagen, was sie hören wollen. Und er sagt es ihnen. Er redet von der PDS als der einzigen deutschen Friedenspartei, die diejenigen abholen will, die der rot-grünen Regierung nach ihren Beschlüssen zum Kosovo und zum Irak nicht mehr über den Weg trauen. Frieden kommt immer gut an. Dritter Punkt bei der Basis. Der reiche Unternehmer redet von antikapitalistischer Strategie, von verstärkter Gewerkschaftsarbeit, von Pressefesten des Neuen Deutschland im Westen. Dehm macht einen Punkt nach dem anderen. Der Parteitag klatscht. Er jubelt. Als Dehm ankündigt, eine Ausstellung zur Geschichte der Dresdner und der Deutschen Bank zu organisieren – „ich sage das in vollem Bewußtsein, das sind Nachfolger von Verbrecherorganisatoren“ –, liegt ihm der Parteitag zu Füßen. Zum ersten Mal sind die Genossen aus dem Häuschen. „Und ich werde einen Rio-Reiser- Preis für subversive Songs stiften“, ruft der frühere Liedertexter seinen kreischenden Fans zu.

Gerhard Schröder muß sich warm anziehen.

Jetzt hat Dehm die Delegierten im Griff. Sie fressen ihm aus der Hand. Als ein Eifriger wissen will, welche Meinung er zum Problem der Weltinnenpolitik hat und wie sich das mit der ökologischen Frage verträgt, wird der Saal unruhig. Dehm gibt den Gönner: „Murrt ihn nicht nieder“, ruft er, das sei eine wichtige Frage, und antwortet etwas, das so klingt wie Weltinnenpolitikökologie.

Wie konnte das nur passieren? Ausgerechnet Dieter Dehm. Dr. Dieter Dehm. 48 Jahre, Paradiesvogel der westdeutschen Linken, über 30 Jahre Mitglied der SPD, ehrenamtlicher Stadtrat von Frankfurt am Main, 1994 Abgeordneter des Bundestages, Produzent von BAP, Manager von Katarina Witt und Wolf Biermann, Organisator von Konzerten gegen Nachrüstung und Atomenergie, Autor der SPD-Parteihymne „Das weiche Wasser bricht den Stein“, als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Selbständige und Unternehmer im Bundesvorstand der Sozialdemokraten, von 1971 bis 1978 angeblich IM der Stasi, er bestreitet dies, im September 1998 aus der SPD ausgetreten.

„Ich bin nicht eitel“, sagt Dehm von sich selbst, und dann, nach einer kleinen Pause: „Obwohl ich allen Grund dazu hätte.“ Warum applaudieren die Genossen einem Kandidaten, der zur PDS paßt wie Roland Kaiser zur SPD-Grundwertekommission? Wie kann dieser Selbstdarsteller eine Partei im Handstreich nehmen, die er nicht kennt und dessen Führung ihn nicht gewollt hat?

Weil er die beste Rede des Parteitags gehalten hat, könnte man lapidar sagen. Die PDS wollte nach den Debatten der letzten Wochen über eine Amnestie für SED- Funktionäre und die Auseinandersetzung über den DDR-Spion Rainer Rupp eigentlich ja ein Zeichen setzen, die soziale Frage wieder in den Mittelpunkt ihrer Arbeit rücken und sich offensiv mit der DDR-Vergangenheit auseinandersetzen. Aber dem Parteitag fehlte ein richtiges Thema, der müde Start der programmatischen Diskussion war zuwenig, um die Partei aus ihrer Krise zu befreien. PDS-Chef Lothar Bisky hat hier und da einen kritischen Satz fallengelassen, vor allem aber beschwor er in gewohnter rhetorischer Langeweile die Geschlossenheit der Sozialisten. „Die Partei ist das Alpha und das Omega der politischen Arbeit jedes einzelnen“, sprach Lothar „Moses“ Bisky zu seinem Volk. Die anschließende Generaldebatte drehte sich folglich um alles und nichts. Die großen Streitfragen blieben sorgsam ausgespart. Die Delegierten lechzten nach einem Event – Dehm war genau der Richtige, es ihnen zu bieten.

Ihm kam entgegen, daß der PDS-Bundesvorstand bei der Parteitagsvorbereitung komplett versagt hat. Mit wem auch immer man vor dem Parteitag redete, fast alle hatten sie Bauchschmerzen mit Dehms Kandidatur. Dabei war seine mutmaßlich Stasi-Mitarbeit noch das geringste Problem. Keinem der Genossen fiel dazu auch nur eine Frage ein. Dehm sei zu eitel und nicht teamfähig, hieß es, er habe kein Verhältnis zur Partei und mache im Westen die Tür zu den Sozialdemokraten nicht auf, wie er selbst verspricht, sondern eher zu. Soll er sich doch erst mal im Vorstand bewähren, sagten viele, aber gleich stellvertretender PDS-Chef, wo er doch erst drei Monate Mitglied der Partei ist? Trotz schwerer Vorbehalte in der Parteiführung wagte keiner, Dehm damit zu konfrontieren.

Während der Bundesvorstand viel zu spät auf die Suche nach einer personellen Alternative ging, erledigte sich die aussichtsreichste Kandidatin, Caterina Muth, Fraktionschefin in Mecklenburg-Vorpommern, mit ihrem 22,90-Mark- Diebstahl gleich selbst. Dehm tourte unterdessen wochenlang durch die Kreis- und Landesverbände der Partei, veröffentlichte ein 36-Seiten-Papier über den Westaufbau der PDS und verbreitete ungeniert den Eindruck, er sei der Wunschkandidat des Parteivorsitzenden. Als Lothar Bisky in der Woche vor dem Parteitag mit allen Landesverbänden telefonierte, um genau das zu dementieren, war es bereits zu spät. Den Rest erledigte der Medienprofi Dieter Dehm auf dem Parteitag. Er setzte allein auf den Schröder-Effekt: ein blendendes Lächeln und den demonstrativen Willen zur Tat.

Parteichef Bisky, Bundesgeschäftsführer Bartsch, Fraktionschef Gysi, sie alle sahen am Abend nach der Wahl nicht glücklich aus. Sie sollten dem Vorschlag eines ehemaligen Frankfurter Jusos folgen, der mit Dehm befreundet war: „Dieter, du bist und bleibst ein Kommunist“, sagte der Sozialdemokrat. „Laß uns lieber über Musik reden.“ Ist vielleicht besser so.

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