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Führer und Jünger oder Lektion in Coolness

■ Eine mißratene Sonntagserregung und ihre Folgen: Statt sensationeller Briefe von Adolf Hitler und Rudolf Hess an Ernst Jünger wäre das Geheimnis des Autors Jünger zu entdecken

In Ernst Jüngers Briefarchiv, das sich inzwischen im Deutschen Literaturarchiv in Marbach befindet, haben sich Briefe von Adolf Hitler und Rudolf Hess gefunden. Heimo Schwilk, Ernst-Jünger- Verehrer und Kulturwart bei der Welt am Sonntag, hat daraus eine Sonntagssensation gemacht. Frank Schirrmacher hat das Ereignis in der FAZ vom Montag auf ihr banales Eintags(fliegen)maß zurückgeführt, indem er die Banalität des Inhalts memorierte und in einem bemerkenswert informierten philologischen Nachhilfekurs daran erinnerte, daß und wie lange schon der Inhalt dessen bekannt ist, was Schwilk mit großer Geste als Entdeckung präsentierte.

Ernst Jünger hatte – wie er am 2. April 1946 in den „Strahlungen“ notierte – 1926 sein Ausschnittalbum aus der „großen Schlacht“, „Feuer und Blut“, Adolf Hitler geschickt, mit der Widmung: „Dem nationalen Führer“. Hitler hatte sich darauf mit dürren Worten und in einigem Abstand bedankt. Auf Jüngers eilige Antwort hat Rudolf Hess einen gelegentlichen Besuch des „nationalen Führers“ bei Jünger in Aussicht gestellt, der aber, auch das hat Jünger selbst überliefert, nie zustande kam. So in etwa der dürre Vorgang.

Frank Schirrmacher hat damit nicht nur aus Schwilks Sensationismus die Luft gelassen und der Versuchung widerstanden, in der Reflexion von Jüngers Umgang mit dem dürren Material seinerseits wieder eine Sensation zu machen. Wie nebenbei hat er darüber hinaus einen der intelligentesten Beiträge zur Jünger- wie zur Intellektuellen-Diskussion geliefert, indem er gewissermaßen das Geheimnis von Jüngers Erfolg offenbart: das hohle Geheimnis. Jünger habe „einerseits immer nur die platteste Wahrheit“ wiederholt, daß „sein Kontakt mit Hitler ganz belanglos gewesen sei“, zugleich aber habe „der große Sprachartist“ durch die Art und Weise, wie er das getan habe, „durch die ständige andeutende Mythologisierung den Verdacht genährt, es könne da noch mehr sein“.

Ebendies ist das offenbare Geheimnis des „Kältetechnikers“ (Helmut Lethen) Jünger: Das Geheimnis ist, wie immer schon und erst recht in der Moderne, hohl. Aber es gibt nicht nur die Verzauberung der Hohlheit durch Brimborium, à la Stefan George, sondern auch und noch wirksamer durch Imitationen der Entzauberungstechnik: kühle Rationalität, sachliche Faktizierung, desinteressierte Beherrschung, den Modus operandi von Brecht bis Müller. Es ist die Maskierung durch Unbeweglichkeit, die Haltung des Pokerns oder, um es auf die Pop-Variante zu bringen, die Haltung der Coolness. Gelassenes Zeigen der Zeichen. Deuten sie auf etwas Tieferes oder auf etwas Höheres? Verweisen sie nur auf andere Zeichen? Oder designieren sie den, der sie zeigt? Die Annahme liegt beim Betrachter.

Was cooler sei, hat Max Goldt einmal gefragt, jemanden zu bewundern, der cool ist, oder selbst cool zu sein. Heimo Schwilk hat sich mit seiner sensationistischen Erregtheit geoutet. Schirrmacher hat ihm (und nicht nur ihm) gezeigt, was es heißt, cool zu sein. Denn er hat ja nicht nur Ernst Jüngers Betriebsgeheimnis offenbart, sondern an ein Geheimnis des Betriebs, der Marketing- und Posing- GmbH, erinnert, an sein Offenbares, den Hohlraum als Projektionsfläche.

Die massenmediale Kurz(zeit)warenindustrie kann zwar coole Figuren vorzeigen, Pulpfictionäre, Rapper, Lara Crofts oder Turnschuhartisten, aber sie kann, was sie unter großen Anstrengungen produziert, nicht cool vorzeigen. Sie muß kommen mit Getöse. Heimo Schwilk hat gezeigt, welch Getöse man inzwischen selbst machen muß, um altkulturelle Coolness zu promoten. Frank Schirrmacher hat ihm die Geschäftsordnung gezeigt, öffentlich. Und das ist hohe Kunst: die Regeln anzuwenden und zu offenbaren.

Als Schirrmacher in den achtziger Jahren ausgerechnet Heinrich Manns „Im Schlaraffenland“, den Roman, der 1900 das Betriebsgeheimnis nutzte und offenbarte, in der FAZ zum Wiederlesen vorstellte, war er noch am Anfang seiner Karriere. Wie immer man einzelne Stationen seines Wegs bis heute beurteilt: Dieser Artikel zeigt, warum Schirrmacher zu Recht dort ist, wo er schreibt. Erhard Schütz

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