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Konspiratives Netz

■ Pinochet-Anhörung in London: Beging er Verbrechen, schon bevor er Präsident wurde?

Berlin (taz) – Bei den Anhörungen vor den britischen Lordrichtern über die Immunität des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet hat die Anklage einen neuen Schachzug unternommen: Sie führt jetzt Verbrechen wie Folter und Mord ins Feld, für die Pinochet verantwortlich zeichnet, die aber bereits begangen wurden, bevor Pinochet offiziell zum Staatschef ernannt worden war.

Pinochets Verteidigung hat stets argumentiert, Pinochet genieße als ehemaliges Staatsoberhaupt Immunität. Seine Verhaftung in London am 16. Oktober vergangenen Jahres sei demnach unzulässig. Dem hatte der britische Oberste Gerichtshof zunächst entsprochen. Auf den Berufungsantrag der Anklage hin jedoch hatte ein Gremium aus fünf Lordrichtern Pinochet im November die Immunität aberkannt.

Die Lordrichter hatten dabei die Grundsatzfrage zu entscheiden, ob Folter und Mord zu den Amtshandlungen eines Staatschefs gehören und daher durch Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt sind oder nicht. In dieser Frage waren sich die Richter uneins – nur eine knappe Mehrheit von drei zu zwei Stimmen gab schließlich den Ausschlag für jenen Urteilsspruch, der später wegen Befangenheit eines der Richter gekippt wurde.

Wenn aber, wie es Staatsanwalt Alun Jones am Montag vortrug, die Straftaten schon vor der offiziellen Ernennung Pinochets zum Staatschef begangen wurden, dann ist die Immunitätsfrage zumindest für diese Straftaten unstrittig. Und eben das versuchte die Anklage zu beweisen. Schon vor dem Militärputsch vom 11. September 1973 habe Pinochet zusammen mit anderen Generälen Taten begangen, die Teil „eines konspirativen Netzwerkes waren, das in Folterungen, Entführungen und Morden gipfelte, viele davon, bevor Pinochet zum Staatschef ernannt wurde“, erklärte Jones.

Noch am Morgen des 11. September 1973 seien „Hunderte ermordet und gefoltert worden, während Pinochet sich erst nachmittags um 18 Uhr zum Chef der Regierungsjunta ernannte“. Selbst wenn also der 11. September als Stichdatum für den Beginn von Pinochets Amtszeit als Staatschef gelten würde, seien diese Verbrechen keinesfalls durch Immunität gedeckt.

Ob das aber das richtige Datum ist, blieb strittig. Denn zum Präsidenten Chiles wurde Pinochet erst am 26. Juni 1974 ernannt – bis dahin war er nur Chef der Regierungsjunta. Die Anklage macht daher geltend, daß alle vor dem 26. Juni 1974 verübten Straftaten nicht durch Immunität geschützt sein könnten – worauf die chilenische Regierung, die auf seiten Pinochets vor den Lords sitzt, sofort anführte, daß die Briten die Putschregierung schon am 22. September 1973 anerkannt hatten.

In die Kritik geriet in diesem Zusammenhang auch der ohnehin schon gebeutelte britische Außenminister Robin Cook. Lordrichter Browne-Wilkinson bemängelte, daß das Außenministerium trotz Nachfrage nicht in der Lage gewesen sei, die Information über den Zeitpunkt der britischen Anerkennung bereitzustellen.

Die Anhörung dauert diese Woche noch an. Kommen die sieben Lordrichter zu einem anderen Urteil als ihre Vorgänger im November, kann Pinochet nach Hause fahren. Bernd Pickert

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