: Stille Post aus der Klinik
Ein Tratschbuch über Staatschef Havel und seine Frau macht in Tschechien Furore. Fall kommt vor Gericht ■ Von Jaroslav Šonka
Die Prager diskutieren dieser Tage vor allem ein Thema: Präsident Václav Havel und seine Frau. Auslöser ist ein Buch mit einer lange unerreichten Auflage von über hunderttausend Exemplaren. Autor des Werkes „Sieben Wochen, die die Burg erschütterten“ ist Přemysl Svora, Chefredakteur der angesehenen ökonomischen Wochenzeitschrift Profit. Er kam vor einiger Zeit in die Nähe des Präsidenten und konnte offensichtlich das Klinikpersonal aushorchen, das Havel vor zwei Jahren während seiner Lungenoperation betreute. Neues über Havels damaligen Zustand teilt Svora den Lesern nicht mit. Da ist die ärztliche Schweigepflicht vor. Was jedoch die Besucher des erkrankten Präsidenten angeht, scheinen die Informanten gesprächiger gewesen zu sein.
Und so watet Svora mit pikanten Szenen aus dem Wirken von Dagmar Havlová, damals noch Veskrnová, auf. Er schildert sie als eine hysterische Person und berichtet, wie sie im beschriebenen Zeitraum Václav Havel erfolgreich nachstellte. „Na und, so lange habe ich auf ihn gewartet und jetzt stirbt er mir? (...) Was sagen die Leute? (...) Ich werde für alle ein Idiot sein. Ich werde ihn also heiraten ...“, zitiert Svora die künftige Präsidentengattin. Und macht an anderer Stelle einen Sprung in das Jahr 1998: Während Havels Besuch in den USA sei Dagmar Havlová mit ihrem persönlichen Sekretär „in einer Situation gesehen worden, die ihr Arbeitsverhältnis in eine sehr freundschaftliche Beziehung verwandelte“.
Stimmt das? 80 Prozent sei Wahrheit und 20 Prozent literarische Erfindung, sagt der Autor in der Vorrede zu seinem Buch, von dem er selbst nicht weiß, ob er es als Roman, Sachbuch, Bericht oder Seifenoper bezeichnen soll. Vielleicht entspricht das Werk noch am ehesten den hinter vorgehaltener Hand geäußerten Absichten des Autors, einen Comic daraus zu machen. Bis dahin wird Svora über 10 Millionen Kronen verdient haben und seine Popularität wird durch zahlreiche Interviews wachsen, in denen er sich als Larry Flint der tschechischen Meinungsfreiheit geriert. Natürlich wird er sich während der Gerichtsverhandlung inszenieren, die nach einer Klage des Präsidentenehepaares vom 16. November bevorsteht. Richtigstellen und zahlen soll er, meinen die Kläger. Sie würden dann die gerechte Strafe an humanitäre Institutionen weiterüberweisen.
Gerade zum 50. Jahrestag der UNO-Charta der Menschenrechte wird in Tschechien ein Konflikt darüber ausgetragen, wie einige Artikel dieser Charta zu interpretieren und gegeneinander abzugrenzen sind. So besteht das Präsidentenehepaar auf dem Schutz der Privatsphäre – abgeleitet vom Artikel 12. Autor Svora hingegen beansprucht für sich die Freiheit der Informationsbeschaffung aus Artikel 19. Fast jeder kommentiert nun die beidseitige Beanspruchung von Menschenrechtsartikeln. Niemand wartet auf die Interpretationen der Gerichte. Und daß die Suche nach einer Lösung dauert, möchte kaum jemand wahrhaben.
Immer sofort urteilen zu können ist im heutigen Tschechien anscheinend jedermanns Anspruch. So wird jede Art von Dialog unterdrückt und alle Meinungsverschiedenheiten erscheinen sofort als Suche nach einem Schuldigen. In seiner Neujahrsrede sprach der Präsident von neuen Mauern, die innerhalb der Gesellschaft entstehen. Ex-Regierungschef Václav Klaus konterte aus seinem Skiurlaub, er sehe keine Mauern, und es sei besser, keine Monologe zu führen, sondern die Probleme im Gespräch zu lösen. So, als hätte er selbst jemals etwas außer eitlen Monologen geführt.
Auch Havel unterlaufen solche Schnellschüsse. So im Fall der zurückgezogenen Auszeichnung des ehemaligen Wiener Oberbürgermeisters Helmut Zilk wegen angeblicher Spionagetätigkeit für den tschechoslowakischen Geheimdienst. Peter Brod von der Süddeutschen Zeitung stellte der Präsidentenkanzlei einfache Fragen und erklärte sein Vorgehen. Havel sprach schnell von einer „Erpressung“. Die Schlüsselfrage stellte jedoch Zilk selbst: Wann werde er selbst in den Akten den Vorwurf der Zusammenarbeit mit der kommunistischen Geheimpolizei nachprüfen können? Diese Frage interessiert niemanden. Dennoch weiß jeder Bescheid.
Die Auseinandersetzung zwischen dem Ehepaar Havel und dem Tratschsammler Svora treibt noch weitere Blüten: Darf die Zeitung Lidové noviny umfangreiche Zitate aus Svoras Buch fast unkommentiert drucken? Die Klage des Ehepaares Havel richtet sich auch gegen Lidové noviny, die sich jedoch klar unschuldig wähnt. Das Zugehen auf den Gegner oder ein Zweifel, würden jedem als eine Schwäche ausgelegt.
Es scheint, als würden gegenwärtig nur augenblickliche Einfälle und deren aufblitzende Kontraste die Atmosphäre in Tschechien bestimmen. Die Arbeit an längeren Entwicklungen, die Offenheit für Meinungsverschiedenheiten, riskiert kaum jemand. Das alles würde im Land des schnellen Erfolges schwach machen. Gemeinsame Ziele und allgemeine Regeln zu haben, das klingt im tschechischen Ohr negativ: nach Totalität, Sozialismus, Eurokratie. So wird man weiter treu das Wirtschaftsblatt Profit von Svora lesen, um anschließend sein neues Tratschbuch oder Comic zu verschlingen.
Alle Tricks sind erlaubt, Argumente beliebig austauschbar, und niemand muß über sein Tun Rechenschaft ablegen. Manche Tschechen amüsieren sich derzeit über einen „Energy drink“ mit dem Namen Semtex. Ein Werbegag: Es ist jener Sprengstoff aus den Zeiten der kommunistischen Hilfe für Terroristen, dessen Wirkung die Opfer von Lockerbie nicht überlebten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen