Träumer aus Trotz

Bloß nicht klagen: „Schattenboxer“ Lars Becker, der gegen alle Widrigkeit großes Kino und echtes Fernsehen durchsetzt  ■ Von Malte Hagener

Die Sternstraße verläuft zwischen Schlachthof und Laue-Gelände, zwischen der Massenproduktion von Fleischware und einem in der Zerstörung begriffenen Industrieareal, das von simultaner Verslumung und Gentrification eines Viertels kündet. Hier residiert die Produktionsfirma King Size Pictures des Regisseurs Lars Becker, und präziser als durch diese städtebauliche Lage läßt sich die Situation seiner Filmprotagonisten kaum beschreiben. Stets geraten die zentralen Figuren in Beckers Geschichten zwischen Fronten, die vorher unsichtbar waren, und scheitern an einer Realität, die so groß ist, daß sie ihr ganzes Ausmaß erst dann erkennen, wenn es längst zu spät ist. Ihre Hoffnungen registrieren die Filme präzise und unsentimental, doch lassen sie nie einen Zweifel daran, wo die Sympathien liegen. Egal, wie wenig elaboriert eine Person spricht oder wie weit sich jemand aus der Gesellschaft entfernt, so Beckers Credo: „Die Träume gibt es trotzdem.“

Die Kleingangster in Schattenboxer wollen eigentlich nur einen ghanaischen Kumpel vor der Abschiebung retten und bemerken dabei, daß das große Ding der Drogenschmuggel der Polizei ist – als sie ihr Glück erzwingen wollen, schlägt die Bullen-Mafia zurück. In Bunte Hunde verrät eine durch Freundschaft und Verrat aneinandergekettete Gruppe von Autoschiebern erst der leichtsinnige Einkaufsbummel – der Traum vom bürgerlichen Neuanfang zerschellt am bürgerlichen Konsumverhalten. Der Landgang für Ringo soll ihn nur zu seiner Freundin führen – unversehens hat der Marinesoldat die Feldjäger auf den Fersen und einen Sumpf aus Grundstücksspekulation und Bestechung vor sich.

Der Fernsehfilm Das Gelbe vom Ei, der am Montag im ZDF ausgestrahlt wird, ist zwar als Komödie eher untypisch für Beckers bisherige Thriller-Arbeit, doch auch hier finden sich Anklänge daran, wer bei den kriminellen Touren am Ende als Sieger dasteht: Das Geld aus dem Bankraub bleibt zumindest zur Hälfte beim Filialleiter – unter der Hand, versteht sich.

In die ostfriesische Tiefebene, wo Becker aufwuchs, führt Das Gelbe vom Ei, und hier sind die Reichen und Armen auf Gedeih und Verderb aneinandergekettet: Kriminelle Energie besitzen alle genügend, doch was bedeutet schon ein Banküberfall im Vergleich zum Betrieb einer Legebatterie. Hochkarätige Darsteller – Heike Makatsch, Meret Becker und Catrin Striebeck als Landeier-Trio, die bei einer Junggesellen-Auktion Moritz Bleibtreu abbekommen – bevölkern die Flachland-Komödie, die dem Regisseur Mechanismen im TV-System offenbarte, ohne daß er dabei eigene Ansprüche aufgeben wollte. „Quote zu machen, heißt eben auf intelligente Art zu überlegen: Wieviel kann ich mit dem jeweiligen Film erreichen?“

Mit einer ganz anderen Besetzung wartet Beckers nächstes Projekt auf: Feridun Zaimoglus Bücher Kanak Sprak und Abschaum, die Sprache und Gestus rebellierender junger Deutschtürken beschreiben (“Wir sind die Kanaken, vor denen ihr Deutschen immer gewarnt habt“, heißt es in Abschaum), bilden die Grundlage für Kanak Attack, der nach Short-Cuts-Manier Geschichten und Figuren aus dem urbanen Deutschland zu einem Gesellschaftsbild verknüpft. Stars aus der HipHop- und Musik-Szene – von Freundeskreis über Viva bis zu Luna – sowie gänzlich unbekannte Gesichter werden dafür ab März vor der Kamera stehen.

Von einer Welle deutsch-türkischer Filme möchte er aber auf keinen Fall sprechen: „Wenn ich sehe, wie die im Feuilleton als Phänomen abgefeiert wurden, wird mir angst und bange. In Frankreich gibt es seit 20 Jahren den Beur-Film der Emigranten aus Nordafrika, aber es gibt das Label nicht mehr, denn die Filme existieren inzwischen selbstverständlich in den alten Genres. Da müssen wir hin,.“

Am Ende entfährt ihm dann doch ein Stoßseufzer: „Daß man beim Filmemachen immer soviel ans Geld denken muß, da muß man kämpfen, daß die Energie nicht an anderer Stelle fehlt.“ Viel lieber redet er über seine Figuren, Bilder und Geschichten, da fühlt er sich in seinem Element. Die Filmproduktion, das Sammeln von Partnern und Fördergeldern, das Aufstellen von Drehplänen für zunehmend teurere Schauspieler mit engen Terminkalendern ist ein mühseliges Geschäft. Doch klagen oder neidisch sein, so betont er immer wieder, will er auf keinen Fall. So wie auch seine Protagonisten ihr Schicksal immer wieder akzeptieren und für ihre Träume den Kampf aufnehmen.

„Das Gelbe vom Ei“ läuft am Montag um 20.15 Uhr im ZDF.