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Kein schöner Land

Eine seltsame Reise durch acht Stationen: David Šalamun ist 24 Jahre alt und Dialysepatient. Er schildert die Welt aus der Perspektive eines Maschinenabhängigen  ■ Von Jörg Magenau

Dialysium ist eine seltsame Weltgegend, die nur wenigen Menschen zugänglich ist. Man erreicht sie in der dritten oder vierten Stunde der Dialyse, wenn das Stadium der abgrundtiefen Erschöpfung manchmal, in günstigen Fällen, ins Schöpferische umschlägt. Dann kann es sogar empfehlenswert sein, die Schwarzwaldklinik anzuschauen. Dann breitet sich für Augenblicke ein unerklärliches Glücksgefühl aus, während das eigene Blut weiter durch die Filter und Schläuche des Dialyseapparates läuft, und die Träume sind besonders intensiv und farbig, als stünde man unter Drogeneinfluß. Kein schöner Land!

David Šalamun, 1974 in Ljubljana geboren, ist Dialysepatient. Mit 13 Jahren erkrankte er an einem schweren Nierenleiden. Seine Mutter, die Schriftstellerin Maruša Krese, spendete ihm eine Niere, doch die Transplantation schlug fehl und brachte David in Lebensgefahr. Mit 18 machte er in Berlin mit der Dialyse Bekanntschaft. Seit drei Jahren lebt er zumeist in New York, raucht Zigaretten und wartet dort auf eine passende Spenderniere. Das kann dauern, doch in den USA ist die Chance am größten.

Egal, wo David Šalamun sich aufhält, die nächste Dialysestation darf nicht weit weg sein. Dreimal wöchentlich muß er ins Krankenhaus, um sein Blut reinigen zu lassen, und wenn er in der Zwischenzeit zuviel trinkt oder seiner Lust auf Currywurst nachgibt, dann rächt sich das. Sein Blick auf die Welt ergibt sich aus der Perspektive ihrer Dialysestationen, die so verschieden sind wie die Länder, in denen sie sich befinden. Sein Erfahrungsbericht „Willkommen im Dialysium“ ist ein seltsames Reisebuch, eine Reise um die Welt in acht Stationen, in der es kein Außerhalb gibt, sondern immer wieder nur den Dialyseapparat als Ankerplatz, wo der Mensch sich fragt: Warum ich?

Doch David Šalamun rettet sich vor jedem Anflug von Selbstmitleid in einen zielsicheren Sarkasmus, in eine leise und scharfsichtige Lakonie, die von sich selbst absehen kann. So sind seine „Reisen auf eigene Gefahr“, wie das Buch im Untertitel heißt, traurig, witzig und erhellend zugleich und schürfen immer auch nach dem Glück, das in dieser Situation möglich ist. Es ist die besondere Autobiographie eines 24jährigen und liegt insofern durchaus im gegenwärtigen Trend der immer jünger werdenden Autoren. Doch im Unterschied zu manchem anderen hat David Šalamun wirklich etwas mitzuteilen.

Über Ljubljana und Klagenfurt geht die Reise nach Izola, wo man vom Krankenhaus aus zwar einen wunderschönen Blick über die Adria genießen kann, der Dialyseapparat mit Holzverkleidung allerdings eher ins Medizinmuseum gehört. In Nikosia auf Zypern segnet an Feiertagen eine Putzfrau jeden Raum mit qualmenden Olivenblättern. Nach der Dialysebehandlung sind hier die gerösteten Sandwiches zu empfehlen. In Berlin, keine Frage, steht der allerneueste High-Tech-Apparat, der allerdings bei jedem noch so kleinen Luftbläschen, das sich in seinem Inneren bildet, gleich so panisch piepst, daß selbst das Holzmodell gewisse Vorzüge entwickelt. In New York glauben die Ärzte selbstverständlich, daß sie die besten der Welt sind, trotzdem ist die Sterbeziffer unter Dialysepatienten hier höher als anderswo, und die Station ist so laut und chaotisch wie die ganze Stadt.

In Sarajevo ist das Erstaunen der Ärzte groß, denn niemand pflegt hierher zu reisen, um sich das Blut reinigen zu lassen. In Sarajevo rauchen die Patienten ohne Ausnahme, die Station ist verqualmt, aus den Boxen scheppern laute bosnische Schlager: Die Menschen richten sich wohnlich ein, wo immer sie können. „Das Bett, in dem ich lag“, schreibt David Šalamun, „zeugte von den schlimmen Ereignissen in dieser Stadt, aber alle erklärten mir, ich solle den Blutflecken, die man beim Versuch, sie auszuwaschen, nicht wegbekommen hatte, einfach keine Aufmerksamkeit schenken, was angesichts ihres Umfangs gar nicht so leicht fiel.“ Während der Belagerung der Stadt, so erzählt der Bettnachbar, war es oft zwölf Tage lang nicht möglich, zur Dialyse zu gelangen. Man muß kein Dialysepatient sein, um zu ahnen, was das bedeutet.

Dialysepatienten machen eigentümliche Erfahrungen. In ihrem Arm werden die Venen kunstvoll zu einer dicken Ader vernäht, damit auch eine Krankenschwester, „die gänzlich erblindet oder vor ihrer medizinischen Karriere eine Metzgerlehre erfolglos abgebrochen hat“, nicht danebenstechen kann. Natürlich stechen sie trotzdem daneben, was zur Hämatombildung führt und dem Patienten zu einer Erfahrung verhilft, die David Šalamun „Ach, schau an, ein Hügel auf meinem Arm, der wächst und wächst“ nennt. Eine andere, tiefgreifende Erfahrung ist die „Saharareise“. Da während der Dialyse dem Körper das überflüssige Wasser entzogen wird, kann es passieren, daß zuviel Wasser entzogen wird. Das führt zu Mattigkeit, zu Krämpfen und schließlich in ein Stadium, das „Die Sonne steht im Zenit und scheint so schön warm“ genannt wird, und das einigen Patienten so gut gefallen hat, daß „sie gleich dort geblieben sind“.

Es versteht sich, daß das Buch in einer Art Endstation Sehnsucht endet: Sehnsucht nach einer neuen Niere, die wieder ein anderes Leben erlauben würde. Und mit Šalamuns Appell an alle Motorradfahrer, sich einen Organspenderausweis zu besorgen. Das kann man leicht verstehen, denn seine Fluchtphantasien, mitsamt der Maschine davonzulaufen, scheitern spätestens am ersten Berg. Wenn es abwärts geht, würde der Apparat womöglich davonrollen. Und das würde doch ziemlich lächerlich aussehen. Also bleibt man besser, wo man ist, in der Dialysestation, und wartet. Wartet auf das Ende der vierstündigen Prozedur. Und auf eine neue Niere.

David Šalamun: „Willkommen im Dialysium. Reisen auf eigene Gefahr“. Edition Niemandsland, Drava Verlag, Klagenfurt/Celovec 1998, 80 Seiten, 27 DM

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