: Die späte Rache des russischen Geheimdienstes
■ Dem Militärjournalisten Pasko drohen 20 Jahre Haft: Er zeigte die Verklappung von Nuklearmüll
Moskau (taz) – Vierzehn Monate sitzt Kapitän a.D. und Journalist Grigori Pasko in Wladiwostok mittlerweile in Untersuchungshaft. Die Militärstaatsanwaltschaft legt dem Mitarbeiter einer Armeezeitung zur Last, seit 1993 geheimes Material an japanische Medien verkauft zu haben. Sollte das Militärgericht Pasko für schuldig befinden, drohen dem Journalisten zwanzig Jahre Lagerhaft.
Nach zweimonatiger Pause nahm das Gericht die Verhandlung diese Woche wieder auf. Wohlweislich bestand Rußlands Geheimdienst FSB darauf, den Fall unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu behandeln. Die Bedenken des FSB gelten weniger militärischen Geheimnissen, die nach außen gelangen könnten. Vielmehr beunruhigt die Sicherheitsbehörde die dürftige Beweislage der Anklage. An Kapitän Pasko, mutmaßen Beobachter aus Militärkreisen, will die Agentur ein Exempel statuieren.
1993 hatte Pasko an den japanischen Fernsehsender NHK Videoaufnahmen verkauft, die die russische Marine zeigten, wie sie Nuklearabfälle in den Stillen Ozean verklappte. Doch sollte der FSB erst vier Jahre später Interesse an Paskos vermeintlichem Hochverrat entwickeln. Im Herbst 1997, bevor der Journalist ein Schiff Richtung Japan bestieg, beschlagnahmten Grenzschützer Unterlagen. Der FSB nutzte sie als Vorwand und Beweis, um ihn bei seiner Rückkehr festzusetzen.
Die Staatsanwaltschaft behauptet stur, es handele sich um Papiere, die der Geheimhaltung unterliegen. Die Verteidigung sieht es anders: Ihr Mandant wäre wohl kaum nach Rußland zurückgekehrt, wenn er hätte fürchten müssen, wegen Landesverrats angeklagt zu werden. Pasko habe „nicht der nationalen Sicherheit Rußlands geschadet, sondern nur das Recht auf freien Zugang zu Informationen genutzt“. Wahrscheinlich war der Inhalt des Beweismaterials der Öffentlichkeit bekannt. Pasko hatte allein 150 Artikel veröffentlicht, wovon sich die meisten mit der nuklearen Entsorgung der Pazifikflotte befaßten. Die Staatsanwaltschaft kann sich indes bei ihrer Anklage auf ein russisches Spezifikum berufen: Solange Informationen nicht freigegeben sind, selbst wenn es Spatzen von den Dächern pfeifen, gelten sie als geheim.
Paskos Fernsehbeitrag 1993 veranlaßte Japan übrigens, Geld zur Verfügung zu stellen, um in Rußland Anlagen zur Verarbeitung von nuklearen Treibstoffen zu errichten. Die Mittel nahm man gern entgegen. Inzwischen haben sich Menschenrechtsorganisationen des Falls angenommen, und amnesty international verlieh Pasko den Status eines politischen Häftlings. Bisher hatte die Inhaftierung des Kapitäns Alexander Nikitin die öffentliche Aufmerksamkeit absorbiert. Auch Nikitin, der mit norwegischen Umweltschützern zusammenarbeitete, wird vorgeworfen, Geheimnisse über das Nuklearpotential der Nordflotte verraten zu haben. Der internationale Protest zwang den FSB zum Rückzug. Offensichtlich möchte er nun Pasko büßen lassen. Zumal er Beweise gesammelt haben soll, in wessen Taschen sich die japanischen Hilfsgelder verirrt haben. Vor wenigen Tagen strahlte das russische Fernsehen bisher unveröffentlichtes Material aus, das von Pasko stammte: Die Pazifikflotte kippte Riesenbestände an konventionellen Waffen auf offener See über Bord.
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