: Billigjobs werden sozialversichert
Rot-grüne Pläne für 630-Mark-Jobs bringen den Sozialversicherungen 3,4 Milliarden Mark. Im Bundestag kritisiert die Union: „Sie wollen nur abkassieren.“ FDP sieht in Neuregelung „Tod auf Raten“ für Minijobs ■ Aus Bonn Markus Franz
Die Opposition im Bundestag hat die geplante Neuregelung der 630-Mark-Jobs als rundherum mißlungen bezeichnet. Sie schaffe keine zusätzlichen Arbeitsplätze, bringe einen Bürokratisierungsschub mit sich, sei in hohem Maße sozial ungerecht und darüber hinaus verfassungswidrig. Der CDU- Sozialpolitiker Julius Louven forderte: „Ziehen Sie diesen Murks zurück.“
Der rot-grüne Gesetzentwurf, den der Bundestag gestern in erster Lesung beraten hat, sieht vor, daß die bisher vom Arbeitgeber zu zahlende Pauschalsteuer von 20 Prozent und der Solidaritätszuschlag entfallen. Statt dessen soll der Arbeitgeber zehn Prozent an die Kranken- und zwölf Prozent an die Rentenversicherung zahlen. Unions-Fraktionsvize Hermann Kues kritisierte, daß den Mindereinnahmen bei der Steuer in Höhe von 1,37 Milliarden Mark Mehreinnahmen von 3,4 Milliarden Mark bei den Sozialversicherungen gegenüberstünden. „Damit ist klar“, sagte Kues: „Sie wollen abkassieren.“
Arbeitsminister Riester (SPD) begründete die Neuregelung damit, daß die Zahl der geringfügig Beschäftigten aus dem Ruder gelaufen sei. Die Flucht aus der Solidargemeinschaft müsse gestoppt werden. Das gelinge zum einen dadurch, daß die 630-Mark-Jobs künftig auf der Lohnsteuerkarte vermerkt werden müßten. Damit werde die Kontrollmöglichkeiten der Behörden verbessert. Außerdem könnten die Arbeitgeber jetzt nicht mehr die Steuerpflicht auf die Arbeitnehmer abwälzen. Außerdem sollen die Betriebsräte künftig ein zusätzliches Widerspruchsrecht haben, um die mißbräuchliche Anwendung von Minijobs zu verhindern.
Die Opposition war sich nicht einig, ob sie die mutmaßliche Eindämmung der Minijobs gutheißen sollte oder nicht. Irmgard Schwaetzer von der FDP meinte, die Regierung verschaffe den Minijobs einen „Tod auf Raten“. Die CDU monierte dagegen, daß weder eine Mißbrauchsbekämpfung noch eine Eindämmung der 630-Mark-Jobs stattfinde. Für die PDS kritisierte Heidi Knake- Werner, daß der Gesetzentwurf nicht dazu führe, die Minijobs deutlich einzuschränken.
Besonders umstritten war die Regelung, daß die Arbeitnehmer künftig den Pauschalbetrag zur Rentenversicherung mit einem eigenen Beitrag von 7,5 Prozent aufstocken können. Eine Frau müsse 150 Jahre für 630 Mark monatlich arbeiten, um eine Rente in Höhe der Sozialhilfe zu bekommen, so Kues. Das Bundesverfassungsgericht werde es nicht hinnehmen, daß Beiträge in die Sozialkassen gezahlt würden, ohne daß ihnen Ansprüche gegenüberstünden. Die SPD-Sozialpolitikerin Ulla Schmidt wies diesen Vorwurf zurück. Der Beitrag biete andere Vorteile. Schließlich könnten die Arbeitnehmer Lücken in ihrer Rentenbiographie schließen und dadurch anderweitige Ansprüche aktivieren.
Nur „unter dem Strich“ zufrieden ist die Sozialpolitikerin der Grünen, Thea Dückert. Sie kritisierte, daß Ehefrauen ihren Nebenverdienst aus 630-Mark-Jobs zu dem des Mannes nicht versteuern müßten. Das sei ungerecht gegenüber Alleinerziehenden. Ihre Partei habe sich in diesem Punkt gegenüber der SPD nicht durchsetzen können. Das wiederum fand die PDS gut. Dadurch werde das Klischee der Frau als bloßer Zuverdienerin gebrochen.
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