: Schwangere Frauen unter Druck
■ „Kind als Schaden?“ / JuristInnen und MedizinerInnen diskutieren am Wochenende Probleme der pränatalen Diagnostik
Ein behindertes Kind wurde geboren – kein Wunschkind. Denn schon das erste Kind in der Familie kam behindert zur Welt, und nur nach umfangreichen genetischen Tests hatten die Eltern sich überzeugen lassen: Unser zweites Baby wird gesund sein. Doch ihr beratender Gynäkologe irrte sich.
Vor rund einem Jahr beschäftigte dieser Fall das Bundesverfassungsgericht. Denn die Eltern des Neugeborenen forderten von dem Arzt Schadensersatz. Das Gericht gab den Eltern recht. Die ethische Diskussion dauert seitdem an: Kann und darf die Geburt eines behinderten Kindes wirklich als ein Schaden angesehen werden – als ein Schaden zudem, der sich mit Geld wiegen läßt? Und: Welche Bedeutung hat das BVerfG-Urteil für die Menschen – die Frau und ihren Partner, die Ärztin, die Hebamme – im bundesdeutschen Schwangeren-Alltag? Unter dem Titel „Kind als Schaden?“ hatte Cara, Bremens „Kritische Beratungsstelle zur vorgeburtlichen Diagnostik“, am Wochenende zu einem Fachtag geladen, um diese Problematik unter ethischen, juristischen und medizinischen Gesichtspunkten unter die Lupe zu nehmen. Die taz sprach darüber mit der Cara-Mitarbeiterin Ebba Kirchner-Asbrock.
taz: Seit einem Jahr kann eine Gynäkologin, die bei ihren Untersuchungen zu falschen Ergebnissen über den Gesundheitszustand des Fetus kommt, haftbar gemacht werden. Bedeutet dies eine größere Rechtssicherheit für PatientInnen?
Ebba Kirchner-Asbrock,Beratungsstelle Cara: Nein, das würde ich nicht so sehen. Bei Cara haben wir ganz im Gegenteil den Eindruck, daß die ÄrztInnen den zunehmenden Druck, der durch die neue Rechtslage auf ihnen lastet, an die schwangeren Frauen weitergeben. Häufig fordern sie die Frauen auf, alles nur mögliche an Diagnoseverfahren über sich ergehen zu lassen, um die Geburt eines behinderten Kindes auszuschließen.
Wie groß ist heute die Erkenntnissicherheit in der pränatalen Diagnostik mit Fruchtwasser- und Ultraschalluntersuchungen?
Die Medizin suggeriert den Eindruck, daß mit Hilfe der pränatalen Diagnostik gesunde Kinder gemacht werden können. Dem ist natürlich nicht so. Die Verfahren setzen zwar immer früher ein, aber der weitaus größere Teil der Behinderung ist ja gar nicht genetisch bedingt, sondern kommt durch Komplikationen bei der Geburt oder durch Infektionskrankheiten während der Schwangerschaft zustande. Aber auch durch den großen Aufwand, der betrieben wird.
Zu ihrer Fachtagung hatten sie eine Gynäkologin, zwei JuristInnen und eine Politikerin eingeladen. Ihre Frage war: Mit welcher Berechtigung darf die Geburt eines Kindes als ein Schadensfall angesehen werden, der zu Schadensersatzforderungen führen kann. Welche Antworten bekamen Sie?
Theresia Degener, Rechts-Professorin aus Bochum, bezweifelte stark, daß es mit dem Artikel 1 unseres Grundgesetzes überhaupt vereinbar ist, ein Kind als „Schadensquelle“ zu definieren. Sicherlich ist hier die Menschenwürde des Neugeborenen in Frage gestellt. Zu einer ähnlichen Auffassung kam schon 1993 der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Diese Bedenken hatte aber der erste Senat dann vier Jahre später offensichtlich nicht mehr.
Außerdem war noch Frau Knoche, die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, eingeladen. Gibt es unter den gesetzgeberischen Umständen denn überhaupt noch Möglichkeiten, politisch, also gesetzgeberisch tätig zu werden?
Zur Zeit ist eher die Rede von einer bewußten Selbstbeschränkung im Bereich der pränatalen Diagnostik. Übrigens auch in der Bundesärztekammer. Dahinter stehen dort aber weniger die ethischen Bedenken als die Ängste vor rechtlichen Komplikationen.
Neben seiner politischen Arbeit bietet Cara auch Beratungen an. Wie durchbrechen Sie den Teufelskreis von pränataler Entmündigung und dem Eltern-wunsch nach einem gesunden Kind?
Zu uns kommen natürlich vor allem Frauen und Paare, die ein Gegengewicht zu der vorherrschenden Diagnosepraxis suchen. Dieses Gegengewicht wollen wir ihnen bieten, indem wir ihr Selbstvertrauen stärken. Dazu gehört auch, daß die Eltern erfahren sollen, was es bedeutet, mit einem behinderten Kind zu leben.
Fragen: Fritz von Klinggräff
Tel.: von Cara in Bremen: 591154
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