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Das Globale im Lokalen

Weder „McWorld“ noch „Kampf der Kulturen“: Ein Buch entwirft ein optimistisches Gegenbild zu den populären Schreckensszenarien einer globalisierten Welt  ■ Von Daniel Bax

In den frühen Achtzigern war „Kulturimperialismus“ ein Modewort. Dahinter stand die Befürchtung, die von multinationalen Konzernen betriebene weltweite Verbreitung des US-amerikanischen Konsummodells drohe die Welt in eine große Shopping Mall zu verwandeln und lokale Kulturen auszulöschen. Das Schlagwort vom „Kulturimperialismus“ ist heute fast vollständig aus dem Sprachgebrauch verschwunden – auch ein Zeichen von Kulturwandel. Doch der Gedanke lebt weiter.

Nur hat sich allenthalben das Lokale als wesentlich standhafter erwiesen, als zunächst angenommen. Politologen wie Benjamin Barber sehen deswegen bereits einen Dschihad, eine Rebellion des Partikularen gegen die Dominanz des Westens, als Reaktion auf die zunehmende „McDonaldisierung der Welt“ (George Ritzer) heraufziehen. Dieser Konflikt, so orakelte Barbers vieldiskutierter Kollege Huntington, müsse in einen Clash der Kulturen münden.

So weit, so apokalyptisch. Die Ethnologinnen Joana Breidenbach und Ina Zukrigl haben sich über diese gängigen Bilder globaler Kulturentwicklung geärgert. Und haben einen Gegenentwurf formuliert. Mit ihrem Buch „Tanz der Kulturen“ wollen sie Entwarnung geben: Weder drohe eine gleichförmige McWorld, lautet die Botschaft, noch stehe eine kriegerische Konfrontation politisierter Kulturblöcke kurz bevor. Ihre These: Das Lokale muß nicht zwangsläufig im Gegensatz zum Globalen stehen, im Gegenteil, beide können sich ergänzen. Kapitalismus, Massenkultur und Moderne haben lokale Kulturen schließlich nicht verdrängt, proklamieren sie, sondern sind diverse Symbiosen mit ihnen eingegangen. Weder ist der karibische Kapitalismus mit dem asiatischen völlig identisch, noch gleicht das deutsche Demokratieverständnis gänzlich dem französischen oder dem japanischen, kurz: Lokale Traditionen beeinflussen moderne, vermeintlich universelle Institutionen, prägen Staaten und Gesellschaften. Die gute Nachricht also: Ethnologen werden durch die Globalisierung nicht arbeitslos, es kommen sogar neue Aufgaben auf sie zu. Parallel lassen sich nämlich eine Vielzahl neuer Kulturformen ausmachen, die sich, als Folge von Migration und verstärkten Kulturkontakten, in der Entstehung neuer transnationaler Gemeinschaften manifestieren: die weltweite Internetgemeinde, die schwul-lesbische Internationale oder die Community der Exilkurden. Die These der Autorinnen lautet daher, zugespitzt: Durch die Globalisierung differenziert sich die Welt überall. Sie wird nicht eintöniger, sie wird komplexer.

Diese optimistische Prognose kommt etwas forsch daher angesichts der augenfälligen Allgegenwart globaler Marken und Moden. Denn, wie die Autorinnen zugeben: „In einer Welt, in der überall Dallas gesehen, mit Microsoft gearbeitet und mit Barbie-Puppen gespielt wird, scheinen Menschen einander immer ähnlicher zu werden.“ Doch der Schein trügt, meinen sie. Was oberflächlich immer gleicher wird, erweist sich im Detail als schillernd und komplex. An bunt zusammengesammelten Beispielen aus der interkulturellen Forschung zeigen sie, daß die gleiche TV-Serie in unterschiedlichen Ländern sehr unterschiedlich rezipiert wird, die gleichen Waren sehr unterschiedlich aufgenommen und in den Alltag eingebunden werden. Außerdem ist nur ein Bruchteil aller Waren wirklich global, kaum eine total global – selbst McDonald's serviert in Indonesien Reis. Die ethnologische Perspektive öffnet den Blick für die feinen Unterschiede wie die Gemeinsamkeiten zwischen Gesellschaften. Sie zeigt, daß ein häufig pauschal problematisiertes, zugleich allgemein verbreitetes Phänomen wie der Massenkonsum – und fast jeder Mensch ist heutzutage Konsument – weit weniger als uniformer Akt der Entfremdung denn als kulturell variable Form persönlichen Ausdrucks betrachtet werden sollte. Oder, um mit den Worten des amerikanischen Ethnologen Marshall Sahlins zu sprechen: Menschen eignen sich Fremdes an, um mehr wie sie selbst zu werden.

Diese Prozesse erfolgen nicht in einem neutralen, machtfreien Raum, wissen auch Breidenbach und Zukrigl. Aufgrund der Dominanz des Westens kommt dessen Standards universelle Gültigkeit zu. Sie können angenommen oder abgelehnt werden, aber sie stellen ein globales Referenzsystem dar. Der im globalen Wettbewerb ausschlaggebende Maßstab für Modernität, Qualität, sogar für Schönheit, er wird in Paris, London oder den USA gesetzt, nicht in Kairo oder Lima. Am Beispiel afrikanischer Werke auf dem Kunstmarkt, aber auch anhand eines Schönheitswettbewerbs in Südamerika zeigt sich dies. Die Diskrepanz zum lokalen Geschmack bringt Preisrichter in Belize zwangsläufig in die Bredouille. Sie wollen international konkurrenzfähige Kandidatinnen wählen, die dem „universellen“ Schönheitsideal entsprechen, riskieren dabei aber, daß die Mehrheit der belizianischen Männer die Außerwählte schlicht als zu zu mager verschmäht.

Blondinen bevorzugt? Nicht zwangsläufig, aber die Entscheidung darüber fällt nicht in der Peripherie. „Tanz der Kulturen“ ist dort lesenswert, wo das Buch die – alltägliche – Ambivalenz von Kreolisierungen, hybriden Identitäten und Authentizitätsanforderungen thematisiert, jenseits unfruchtbarer Polarisierungen: Nicht jedes regionalistische Revival endet im Dschihad, nicht jeder Fremdimport ist zugleich ein Vorbote von McWorld.

Was die weiterhin wirksamen Folgen der kulturellen Hegemonie des Westens angeht, verbreiten die Autorinnen aber doch ein bißchen viel Zweckoptimismus. Wie sie auch die Bedenken angesichts zunehmender Kommerzialisierung und Warenförmigkeit von „Kultur“ etwas vorschnell vom Tisch wischen. Die von ihnen gewählte populärwissenschaftliche Form mit ihrem Hang zur pointierten Überspitzung fördert die pauschale Verkürzung: Globalisierung ist, was man daraus macht. Das Buch will als Anti-Barber gelesen werden: eine Entgegnung auf dessen oft zitierte Ankündigung einer globalen Kulturschmelze.

Doch die Kulturen tanzen nicht auf der gleichen Etage. Westliche Musikstile etwa finden weltweite Verbreitung – nichtwestliche Stile dagegen nur dann, wenn sie im Westen zur Mode werden. Das wirft die Frage auf, ob die Überlebenschancen von asiatischen Religionen, afrikanischen Tänzen und indianischem Kunsthandwerk in Zukunft nicht doch zunehmend davon abhängig sein werden, ob sie im Westen als Trendhobbys nachgefragt werden oder ob sie, marginalisiert, im Museum enden. Oder ist das jetzt wieder zu ethnozentrisch gedacht?

Joana Breidenbach und Ina Zukrigl: „Tanz der Kulturen. Kulturelle Identität in einer globalisierten Welt“. Antje Kunstmann Verlag, München 1998, 36 DM

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