■ Wahrheit-Reporter vor Ort: Hefeteigartistik auf der Grünen Woche: Pizza-Propaganda
Berlin (taz) – Der italienischen Pizza geht's gar nicht gut. Sie steckt in einer frappierenden Identitätskrise. Zwar lieben die Deutschen die belegte Teigscheibe heiß und innig, doch ihre italienischen Wurzeln vernachlässigen sie aufs gröbste. Das Plagiat lauert in jeder Tiefkühltruhe. Immer häufiger läßt uns die ordinäre Pizza Margherita für 2 Mark 99 vergessen, wie Pizza eigentlich sein sollte, nämlich frisch zubereitet und aus erlesenen Zutaten. Mit Seele eben, bono, eh? Zur Rettung des Originals findet im Rahmen der Grünen Woche das „Pizza-Festival Berlin '99“ statt. Motto: Dem massiven Siegeszug deutscher und amerikanischer Industriepizzen Einhalt gebieten! U- Turn zur handgemachten italienischen Qualitätspizza!
So denken es sich die Veranstalter, in erster Linie gehobene italienische Restaurants. Im gepflegten Originalton klingt die Philosophie der Pizza-Propaganda so: Die Woche der italienischen Pizza will „entscheidenden Anstoß dazu geben, Phänomen und Markt der Pizza auf ihre neapolitanisch-italienische Herkunft zurückzuführen“. Erreicht werden soll „eine Wiederentdeckung und Neubewertung der Ursprünglichkeit, Güte und Kultur, in der Pizza entstand und sich entwickelte“. Kurz: Gute Restaurant-Pizza ist lecker, lieb und voller Tiefgründigkeit.
Am Grüne-Woche-Stand, an dem noch bis Sonntag intensives Pizza-Feeling gelebt wird, hoffen die Gastronomen auf Gehör für ihre Mission. Die beteiligten Restaurants bieten abends Pizza-Artistik gratis. Bereits auf der Eröffnungsveranstaltung im ICC wirbeln preisgekrönte Pizzabäcker zu Livemusik Teig durch die Gegend. Alles waschechte Italiener natürlich, so charmant, wie junge Pizzabäcker sein sollten. Zugegeben – die gefrorene Pizza Tonno von Penny erscheint im Vergleich dazu tot und unsexy. „Ist schon ein Ding, was für einen Pep die Jungs haben!“, raunt mein Sitznachbar anerkennend. Kein Wunder, daß die deutsche Küche im Ausland nie wirklich Furore gemacht hat. Sie ist einfach nicht showtauglich. Wer würde in Italien wohl gerne das „Wochenende der Boulette“ besuchen und Deutsche dabei beobachten, wie sie im Takt der Musik eingeweichte Brötchen zermatschen?
Auch der Berliner Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) hat sich für die Förderung italienischer Küche entschieden und zerrt fotogen labbrigen Hefeteig durch die Luft. Beim Anblick seines Werks gewinnt die Fertig- Pizza jedoch plötzlich wieder Pluspunkte. Nach vollbrachter Arbeit kämpft Branoner verzweifelt mit hartnäckigen Mehlspuren auf seinem Jackett. Er ist Schirmherr der italienischen Freß-Festivität, denn neben dem kulinarischen Genuß gibt „die Pizza auch vielen Berlinern Arbeit“, so der Wirtschaftssenator. Pizz pizz, hurra!!! Doch nicht genug der Lobesworte. „Pizza macht schön!“, ergänzt Mario Tamponi, Journalist und Organisator des Festivals. Zweifellos ein Marketingkonzept der Spitzenklasse.
Was der Initiator der Pizza-Woche nicht weiß: Mit dieser Aussage ist der Kampf um die Pizza im Grunde bereits verloren. Ihr eigentlicher Feind ist dabei weniger die gemeine Tiefkühlpizza, der Pommes-Curry-Teller oder die Hausmannskost. Die Gefahr kommt vom Bosporus. Ein Aufkleber an einer türkischen Imbißbude in Kreuzberg posaunt den Abgesang auf die italienische Pizza in die Welt. „Döner macht schöner“, steht da ganz unauffällig und entkräftet auf einen Schlag das mühsam ausgetüftelte Werbekonzept der Pizzabäcker. Außerdem hat die türkische Brottasche das Glück, nicht mit Imageproblemen kämpfen zu müssen. Denn komischerweise ist bislang niemand auf die Idee gekommen, amerikanischen Tiefkühl-Döner zu vermarkten. Iris Krumrei
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